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Wörner, Axel

“Der Marmortisch”

Roman, 2011, 301 S., ISBN 978-3-89626-979-9, 17,80 EUR


 

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Vorwort

In einer Bar hat etwas zu geschehen, wenn eine Frau zu nachmittäglicher Siestazeit den Aschenbecher mit einer Miene anstarrt, die den Inhaber des Getränkeausschanks veranlasst, seinen einzigen Gast mit Geschwätz zu verschonen. In der Literatur- und mehr noch Filmgeschichte ist nachlesbar, dass stets etwas geschieht, wenn eine einsame Frau in einer gottverlassenen Bar zu welcher Uhrzeit auch immer auf ihrem Stuhl sitzt. Als nachweisbar kann es gelten, dass auch im wirklichen Leben in einem solchen Fall etwas geschieht. Das Handy der Dame könnte sich beispielsweise melodisch melden. Leute könnten das Lokal betreten oder sich wenigstens der gelangweilte Barmann doch noch zum Versuch eines Gesprächs aufraffen, woraus sich nachfolgende Geschehnisse ergeben.
In dieser Bar aber geschah nichts.
Bis auf den Umstand, dass die Frau am runden Marmortisch auf den Barkeeper wie eine Spinne wirkte, der er als Fliege hilflos ausgeliefert war, weshalb er nach ihrem Eintreten und dem Servieren des gewünschten Kaffees es nicht mehr wagte, in ihre Richtung zu blicken. Das war um so seltsamer, als die schweigsame Dame fast den Rang einer exorbitanten Schönheit einnahm und ihr Körper unentwegt erotische Signale auf ihn abzufeuern schien. Diesen hätte sich der Barmann normalerweise freudig, wenn auch mit der ihm eigenen Lässigkeit gestellt. Doch er hatte, kurz nur, in ihre schockierend kalten Augen geblickt und gespürt, dass die erotische Wirkung dieser Frau von einer Art war, die ihn zutiefst ängstigte. Sie ist die Lust am Tod, dachte er und ahnte sogleich, dass sie ihm diesen Gedanken suggeriert hatte.
Dann verfiel sein Herzschlag in Galopp, weil die Dame aufstand und sich, wie er zu sehen glaubte, auf ihren Pfennigabsätzen tänzelnd dem Tresen näherte, der keinen Schutz vor ihren kalten Augen und der furchtbaren erotischen Woge bot, die ihn überschwemmte und jeglicher Willenskraft beraubte.
„Aber, aber“, sagte die Frau spöttisch. „Der Kaffee war doch gut.“
Sie legte grosszügig einen Fünfer für das Getränk auf den Tresen und verschwand endlich wie ein die ganze Zeit lästiger, beängstigender Schatten und Minuten später war die Kneipe von Stammgästen belagert, die sich lautstark darüber beschwerten, warum fast zwei Stunden geschlossen gewesen sei.
Der Barmann wusste, dass das nicht stimmte und noch mehr wusste er, dass überhaupt etwas nicht stimmte. Letzteres bereitete ihm Unbehagen, doch da er mit Unbehagen umgehen konnte, beschloss er, den Vorfall einfach zu vergessen.
Der einsame Gast jedoch, die Frau, deren zeitweilige Existenz im Gedächtnis des Barmanns fürsorglich gestrichen werden sollte, wusste, dass in dieser Stadt ihr für sie gefährliches, aber vielleicht auch lustvoll nutzbares Ebenbild Maria Magdalena lebte. Maria Magdalena wiederum kannte vorerst weder diese gottverlassene Bar noch den Marmortisch in ihr. Immerhin aber trug sie vor der Brust und tief im Herzen die trikoloren Farben einer freien Frau.
Das ist ihre Geschichte.
 


 

 

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