Vorwort
In einer Bar hat etwas zu geschehen, wenn eine Frau zu
nachmittäglicher Siestazeit den Aschenbecher mit einer Miene anstarrt, die
den Inhaber des Getränkeausschanks veranlasst, seinen einzigen Gast mit
Geschwätz zu verschonen. In der Literatur- und mehr noch Filmgeschichte ist
nachlesbar, dass stets etwas geschieht, wenn eine einsame Frau in einer
gottverlassenen Bar zu welcher Uhrzeit auch immer auf ihrem Stuhl sitzt. Als
nachweisbar kann es gelten, dass auch im wirklichen Leben in einem solchen
Fall etwas geschieht. Das Handy der Dame könnte sich beispielsweise
melodisch melden. Leute könnten das Lokal betreten oder sich wenigstens der
gelangweilte Barmann doch noch zum Versuch eines Gesprächs aufraffen, woraus
sich nachfolgende Geschehnisse ergeben.
In dieser Bar aber geschah nichts.
Bis auf den Umstand, dass die Frau am runden Marmortisch auf den Barkeeper
wie eine Spinne wirkte, der er als Fliege hilflos ausgeliefert war, weshalb
er nach ihrem Eintreten und dem Servieren des gewünschten Kaffees es nicht
mehr wagte, in ihre Richtung zu blicken. Das war um so seltsamer, als die
schweigsame Dame fast den Rang einer exorbitanten Schönheit einnahm und ihr
Körper unentwegt erotische Signale auf ihn abzufeuern schien. Diesen hätte
sich der Barmann normalerweise freudig, wenn auch mit der ihm eigenen
Lässigkeit gestellt. Doch er hatte, kurz nur, in ihre schockierend kalten
Augen geblickt und gespürt, dass die erotische Wirkung dieser Frau von einer
Art war, die ihn zutiefst ängstigte. Sie ist die Lust am Tod, dachte er und
ahnte sogleich, dass sie ihm diesen Gedanken suggeriert hatte.
Dann verfiel sein Herzschlag in Galopp, weil die Dame aufstand und sich, wie
er zu sehen glaubte, auf ihren Pfennigabsätzen tänzelnd dem Tresen näherte,
der keinen Schutz vor ihren kalten Augen und der furchtbaren erotischen Woge
bot, die ihn überschwemmte und jeglicher Willenskraft beraubte.
„Aber, aber“, sagte die Frau spöttisch. „Der Kaffee war doch gut.“
Sie legte grosszügig einen Fünfer für das Getränk auf den Tresen und
verschwand endlich wie ein die ganze Zeit lästiger, beängstigender Schatten
und Minuten später war die Kneipe von Stammgästen belagert, die sich
lautstark darüber beschwerten, warum fast zwei Stunden geschlossen gewesen
sei.
Der Barmann wusste, dass das nicht stimmte und noch mehr wusste er, dass
überhaupt etwas nicht stimmte. Letzteres bereitete ihm Unbehagen, doch da er
mit Unbehagen umgehen konnte, beschloss er, den Vorfall einfach zu
vergessen.
Der einsame Gast jedoch, die Frau, deren zeitweilige Existenz im Gedächtnis
des Barmanns fürsorglich gestrichen werden sollte, wusste, dass in dieser
Stadt ihr für sie gefährliches, aber vielleicht auch lustvoll nutzbares
Ebenbild Maria Magdalena lebte. Maria Magdalena wiederum kannte vorerst
weder diese gottverlassene Bar noch den Marmortisch in ihr. Immerhin aber
trug sie vor der Brust und tief im Herzen die trikoloren Farben einer freien
Frau.
Das ist ihre Geschichte.
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