Klaus Kühnel

 

 

 

Elias auf dem Scheiterhaufen

Zwölf historische Miniaturen zur jüdisch-christlichen Geschichte
bis etwa 1750

 

 

 

2012, Tb, 275 S., französ. Br., ISBN 978-3-89626-849-5, 14,80 EUR

 

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Inhalt

 

Todbringende Legenden und friedfertige Wahrheiten. Die Begegnungen von Juden und Christen in Deutschland 5

Die Judenschläger, Rintfleisch-Horden (1298) und Armleder-Aufstand (um 1337) 57

Der entkanonisierte Heilige. Die Geschichte des Simon von Trient (1475) 77

Elias auf dem Scheiterhaufen. Die messianische Bewegung von David Rëubêni und Salomon Molcho 93

Zwischen Bürgerrechten und Pogromen. Der Berliner Hostienschändungsprozess 1510 115

Komet des Glücks. Josel von Rosheim (1478(?)–vor 6.4.1554) 131

Der Fanatismus des Konvertiten. Johann Pfefferkorn und seine Konfiskation jüdischer Schriften (um 1520) 147

Kinder Gottes oder Söhne des Teufels? Martin Luthers Ansichten über die Juden 175

Der verborgene Hass. Die Judenfeindschaft mittelalterlicher Kunst 191

Rebellion gegen den Rat und die Juden. Vincenz Fettmilch und seine Empörung in Frankfurt (1612–1616) 213

Leibzoll für die Leipziger Messe. Glückel von Hameln (1645–19.9.1724) 233

Der eingebildete Messias. Jakob Frank (1726(?)–10.12.1791) 253

 


 

Klappentext

 

Dieses Buch ist keine Geschichte des Judentums, sondern schildert die oft spannungsgeladenen Begegnungen zwischen Menschen christlichen und jüdischen Glaubens. Seine einzelnen Beiträge sind in sich geschlossene Miniaturen zu eng umgrenzten Begebenheiten, die für das widersprüchliche Nebeneinander von Christen und Juden typisch waren. Ausgespart wird weder das Wüten der Rintfleisch-Horden (um 1298) noch das Judenschlachten der „Hirtenpropheten" (um 1320) als Folge der fanatisierten, in der Macht erstarkten christlichen Kirche.

Erzählt wird auch die Geschichte des Simon von Trient (um 1475), des ersten Ritualmordopfers, das erst 1965 von der katholischen Kirche aus dem Kalender der zu verehrenden Heiligen gestrichen wurde. Im Januar 1524 ritt David Rëubêni wie ein großmächtiger Fürst in Rom ein, gab sich als Gesandter eines großmächtigen jüdischen Reiches im wüsten Arabien aus und unterbreitete Papst Clemens VIII. den Plan, gemeinsam mit 30.000 seiner bewaffneten Männer gegen die Türken vorzugehen. Etwa gleichzeitig trat der portugiesische Christ Diego Pires zum Judentum über, nannte sich Salomon Molcho und gab sich als der verheißene Elias aus. Die Inquisition verurteilte ihn zum Tod auf dem Scheiterhaufen, der damals üblichen Strafe für den Übertritt eines Christen zum Judentum. Über die jüdische Händlerin Glückel Hameln (gest. 1724) wird berichtet, die eine Selbstbiografie verfasst hat und von Jakob Frank, der sich als der verheißene Messias ausgab, seine Bestimmung gleich von David, Jesus und Mohammed ableitete und bis zu seinem Tode 1791 in Offenbach mit seiner großen Anhängerschar hoch geachtet lebte.

 

 

Todbringende Legenden und friedfertige Wahrheiten

DIE BEGEGNUNGEN VON JUDEN UND CHRISTEN IN DEUTSCHLAND

[Ausschnitt]

Lange bevor an das Heilige Römische Reich Deutscher Nation auch nur zu denken war, gab es dort bereits Juden. Natürlich waren sie – oder besser: mit aller Wahrscheinlichkeit waren sie – noch nicht auf diesem Territorium vor der Zerstörung Jerusalems und des Tempels durch römische Truppen unter Titus im Jahre 70, wie die jüdischen Deutschen gelegentlich selbst behauptet haben. Eine nur zu verständliche Maßnahme des Selbstschutzes, denn wenn die Anhänger des mosaischen Glaubens schon vor der Kreuzigung Christi nicht mehr in Jerusalem waren – so argumentierten sie in Zeiten der Verfolgung – konnten sie auch nicht Schuld haben am Tode Jesu, mithin auch keine Gottesmörder sein. Eine Zweckbehauptung, die ihnen jedoch keineswegs abgenommen wurde.

Vermutlich kamen die ersten Juden im Schatten der Kohorten ins spätere Deutschland, handelten mit den hier in den Kastellen liegenden Besatzern sowie mit den Bewohnern des okkupierten Gebietes und zogen rheinlängs in die Tiefe des Landes. Schon damals waren sie im Römischen Reich mehr geduldet als gelitten, denn die Juden im besetzten Palästina hatten auf eine unbedarfte Verfügung des als Friedenskaiser in die Geschichte eingegangenen Hadrians (117–138) mit einem militärischen Aufstand geantwortet. Der Kaiser, ein besessener Verehrer des Hellenismus, hatte dem besiegten Israel das sichtbare Zeichen ihres Bundes mit Gott – die Beschneidung – verboten, weil er darin lediglich eine Verstümmelung menschlicher Anmut wähnte. Darüber hinaus befahl er, in Jerusalem anstelle der zerstörten Gotteswohnung eine große Stadt zu errichten, deren Mittelpunkt ein Jupiter-Tempel am Platz der Bundeslade sein sollte. Diese Anordnungen waren einem Verbot der jüdischen Religion gleichzusetzen, versetzten die Juden in maßlose Wut und entschlossene Verzweiflung und trieben sie zu den Waffen. Natürlich versuchten die Römer sofort, die Botmäßigkeit wieder herzustellen, aber die erzürnten Juden wehrten sich derart heftig, dass „die ganze Erde davon erschüttert wurde," wie der griechische Geschichtsschreiber Dion Cassius, fast Zeitzeuge dieser Erhebung, berichtet. Drei Jahre dauerte der Krieg, erst dann gelang es, den Aufruhr niederzuschlagen. Die Strafe war entsetzlich: Juden durften Jerusalem nicht mehr betreten, Judäa wurde verwüstet, die meisten Bewohner verkaufte man in die Sklaverei. „Von diesem Zeitpunkt an hat Israel keine Heimat mehr und beginnt sein unstetes Wanderleben, das der Welt jahrhundertelang Befremden einflößen sollte", stellt der französische Orientalist Ernest Renan fest.

Mit der Niederwerfung hatten die Juden auch das Bürgerrecht des Römischen Reiches verloren, sie wurden künftig nicht mehr als „freie Menschen" betrachtet, sondern waren rechtlos. Vogelfrei wird dieser juristische Zustand später im mittelalterlichen Deutschland genannt werden. Das Verbot der Beschneidung hob der weitsichtige Antonius übrigens sofort auf, als er im Jahre 138 zum Kaiser erhoben wurde. Er wollte keine Märtyrer.

Außerdem hatte er alle Hände voll zu tun, eine jüdische Splittergruppe zu bekämpfen. Die hatte sich ausgerechnet einem am Kreuz hingerichteten Gotteslästerer verschrieben, behauptete, er wäre der von den Propheten verkündete Messias, der Sohn des Unendlichen im Himmel, und erklärte, dieser Heiland sei zum Erlöser aller Menschen erkoren. Einzig wer an diesen Jesus glaubt, werde das Ewige Leben gewinnen, egal, ob er von einer jüdischen Mutter oder einer Heidin geboren sei. Das setzte die Christen in schroffem Gegensatz zu den Anhängern des mosaischen Glaubens, die nicht fassen konnten, dass der Allgewaltige des Himmels, der Unsterbliche, der schon vor der Erschaffung der Erde gelebt hat und nach ihrem Untergang noch immer leben wird, dass dieser Heilige Gott, dessen Name unausgesprochen bleiben musste, sich gedemütigt und menschliche Gestalt angenommen haben sollte. War den Juden dies allein schon unglaubliche Gotteslästerung, so wurde sie noch von der Unterstellung übertroffen, der Bund Gottes mit Abraham und Isaak und allen Söhnen seines Samens sei nun zu einem Bündnis zwischen Gott und Krethi und Plethi geworden, für jedermann offen. Damit hatten die Christen den Allmächtigen zum Lügner gestempelt, denn er hatte seinem Knecht Abraham versprochen: „Sarah, dein Weib, wird dir einen Sohn gebären, den sollst du Isaak heißen; denn mit ihm will ich meinen ewigen Bund aufrichten."

Unvorstellbar, dass Gott sein auserwähltes Volk verstoßen haben sollte.

Das zu glauben, war einzig einem Kretin vorbehalten, da waren sich die Anhänger des mosaischen Glaubens ausnahmsweise einmal ganz einig. Aber die Weitsichtigen unter ihnen mögen schon erschrocken sein vor dem Satz des Johannesevangeliums: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich." Das schloss künftig die Juden von der Gemeinschaft mit Gott aus. Das erwählte Volk war vom Platz am Herzen seines Vaters verwiesen und musste ab jetzt und für alle Zeit zu Füßen der Christen sitzen. Von da bis unter deren Schuhsohle bedurfte es nur einer kleinen Bewegung.

Aber noch war die jüdische Tochterreligion keine Gefahr für ihre Mutter, noch war sie selbst bedroht, denn sie hatte den unversöhnlichen Hass der römischen Gesellschaft auf sich gezogen, vor allem den der Kaiser selbst, denn die Christen – das hatten sie von ihrer mosaischen Vorbildreligion übernommen – ließen nur einen einzigen Gott gelten, freilich einen dreifältigen, worüber sie untereinander noch in schwerste theologische Auseinandersetzungen mit furchtbaren Folgen geraten sollten. Doch die Römer der Antike wollten sich nicht auf einen einzigen Gott beschränken, in ihrer Vorstellung war für jede Erscheinung auf der Erde oder am Firmament ein anderes göttliches Wesen zuständig – wie hernach die Heiligen in der katholischen Kirche. Um keinen dieser Haupt- und Neben- oder Untergötter zu beleidigen, bauten sie allen „in tiefster Herzenstiefe" Tempel, verehrten sie gleich inbrünstig und suchten in ehrfurchtsvollem Gebet um ihren Schutz nach. Um auch unbewusst gegen keinen dieser Lenker menschlichen Geschicks zu freveln, hatten sie sogar Dem unbekannten Gott zu Ehren ein Bethaus errichtet. Einen derartigen Respekt vor fremden Göttern lehnten die Christen selbstverständlich mit Heftigkeit ab – auch das übrigens nach dem Vorbild ihrer jüdischen Mutterreligion, denn der Einzige mit dem verbotenen Namen hatte befohlen: „Ich bin der Herr dein Gott, du sollst keine Götter haben neben mir!" Das hieß selbstverständlich auch: Ich bin ausschließlich, unteilbar und erscheine nicht in dreifacher Form!

Die religiöse Intoleranz der Christen gegen ihre Götterwelt hätten die Römer wahrscheinlich noch hingenommen, wenn die Anhänger des Gekreuzigten sich wenigstens den Sitten der Zeit unterworfen und dem Kaiser gegeben hätten, was des Kaisers war: göttliche Verehrung. Aber das lehnten die Christen entschieden ab und machten sich so selbst zu dem, wozu sie alsbald erklärt wurden: zu Staatsfeinden – im Gegensatz zum Judentum, das im damaligen Rom durchaus als religio licita galt, als erlaubte Religion. Die Christen konnten nur heimlich ihrem Gottesdienst nachgehen, benutzten dazu die Unterwelt, die Katakomben Roms und mussten gewärtig sein, gefangengenommen zu werden, wenn sie wieder ans Tageslicht traten, denn natürlich gab es auch unter ihnen Denunzianten, die um des Geldes willen oder aus Überzeugung der Obrigkeit Gehorsam erwiesen und verrieten, was sich im Dunkel der Unterwelt abspielte.

Christen standen damals ihrer Überzeugungen wegen außerhalb des Gesetzes, jedermann konnte ihre Verfolgung in Gang setzen. Nach gelegentlichen Hetzjagden – durch den geisteskranken Nero beispielsweise, der Christen als lebendige Fackeln in seinem Garten benutzte oder sie vor den Augen entzückter Zuschauer in den Zirkusstadien Tigern und Löwen zum Fraß überließ – nach solch gelegentlichen und eher unabsichtlichen als durchdachten Verfolgungen ging Kaiser Septimus Severus (193–211) zu öffentlichen, zu planmäßigen, zu von den Behörden veranlassten Christenpogromen über.

Das Geheimnisvolle weckt bekanntlich immer die Phantasie der Ausgeschlossenen und so erfanden die Römer allerhand, was in dem nur heimlich vollzogenen Kult der Kreuzesanbeter vermeintlich an Absurditäten geschah: Unzucht und Inzest waren dabei die geringste Untat, Ritualmord eine notwendige Alltäglichkeit. Aus der Luft gegriffene Anschuldigungen also, wie sie tausend Jahre später von den Christen benutzt werden, nachdem sie sich von einer religiösen Minderheit zur den Staat tragenden Macht entwickelt hatten. Dann selbstverständlich nicht mehr gegen die christliche Religion verwendet, sondern wider den Glauben ihrer jüdischen Nachbarn gerichtet.

Selbst der Wahlspruch „Die Christen sind an allem schuld" existierte schon, wie der Kirchenschriftsteller Quintus Septimius Florens Tertullianus in seiner Schrift „Apologeticus" berichtet. Und er wusste, wovon er sprach! Etwa seit dem Jahre 190 bekennender Christ, trafen ihn die Unhaltbarkeiten der Römer selbst. „Man sagt, wir wären die größten Verbrecher wegen des rituellen Kindermordes und des daraus bereiteten Mahles und wegen der auf das Mahl folgenden Blutschande...Ihr sagt von uns: verrucht, schlecht und übelst geartet...(weshalb die Römer) laut nach dem Blute Unschuldiger schreien, wobei sie freilich diesen Hass mit dem sinnlosen Vorwand begründen, dass nach ihrer Überzeugung an jeder öffentlichen Kalamität, an jedem Missgeschick des Volkes die Christen Schuld trügen. Wenn der Tiber die Mauern überflutet, wenn der Nil die Felder nicht überflutet, wenn die Witterung nicht umschlagen will, wenn die Erde bebt, wenn Hungersnot oder Seuche wütet, sogleich schreit man: Die Christen vor die Löwen!" Dann zieht Tertullianus eine Schlussfolgerung, die acht Jahrhunderte später auch von den Juden hätte gezogen werden können: „Man würde die Christen nicht verfolgen, wäre es nicht (wie man sagt) verdienterweise durch den Gesetzgeber beschlossen worden." Der einzige Unterschied bestand darin, dass der Gejagte von einst mittlerweile zum Jäger geworden war und – die eigenen Nöte und Erfahrungen vergessend – ein ebenso unschuldiges Opfer verfolgte, wie er es früher selbst darstellte.

Verweilen wir noch einen Augenblick bei Quintus Septimius Florens Tertullianus, der sich über die seiner Meinung unbegründete Verfolgung der Christen durch die römischen Heiden empört. Im gleichen Atemzug, aber freilich in einer anderen Schrift, ringt der Autor um den „rechten Glauben der Christen." Im Klartext heißt das, er stellt sich entschlossen auf die Seite der damals herrschenden Orthodoxie und verdammt alles, was ihm nach Ketzerei riecht, nach Häresie. Hier wird das erste Mal gerechtfertigt, was später unter dem Namen Inquisition gnadenlos jeden religiösen Abweichler der kirchlichen Lehrmeinung aufspüren, verurteilen und dem weltlichen Arm zur Hinrichtung übergeben wird. Das zur Macht gekommene Christentum beschließt 1163 auf einer Synode zu Tours: „Ecclesia abhorret a sanguine! – Die Kirche vergießt kein Blut!" und erklärt sich damit für unschuldig am aufgrund ihres Entscheids vollstreckten Tode jedes Häretikers.

Mit der innerkirchlichen Auseinandersetzung beginnt aber auch der Kampf des Christentums gegen die Juden. Tertullianus beschreibt eine Disputation zwischen einem Christen und einem Juden – eine noch ohne persönliche Feindschaft, sondern mit theologischer Sachlichkeit geführte Aussprache übrigens – über das Thema, ob auch ein Heide, ein Nichtjude nach Geblüt „die göttliche Gnade für sich fordern...und Gottes Gesetz beanspruchen" kann. Natürlich siegt bei dem Kirchenschriftsteller der Christ und Tertullianus resümiert: „Damit ist hinreichend geklärt, dass die Heidenvölker zu Gottes Gesetz zugelassen werden, damit nicht Israel sich weiterhin stolz überhebt." Dann beweist er, dass aus dem Schoße der Rebekka zwei Söhne und damit zwei Völker – das der Juden und das der Heiden – hervorgegangen sind, zitiert Gott höchstselbst, der zu Rebekka gesagt hatte „Zwei Stämme sind in deinem Leib, ein Volk wird dem anderen Volk überlegen sein, und der Ältere wird dem Jüngeren dienen." Nach dieser göttlichen Verfügung – so schlussfolgert Tertullianus mit spürbarer Zufriedenheit – stehen die Vertreter des Alten Bundes unter denen des Neuen Bundes und das „ältere Volk, das heißt: das jüdische, muss dem jüngeren dienen und das jüngere Volk, das heißt: das christliche, muss das ältere übertreffen."

Und übertraf es tatsächlich.

Immer mehr Vornehme des Römischen Reiches hatten die verbotene Religion für sich entdeckt. Das Prickeln der Heimlichkeit, die andersartige Sicht auf Himmel und Erde, Rebellion gegen den allerorts sichtbaren inneren Verfall des Reiches waren Anlass genug, sich modern zu geben und sein Herz dem Gekreuzigten zu schenken. Mit der Ausbreitung der jüdischen Tochterreligion über weite Teile des Imperiums wuchs ihr Einfluss und der Widerstand gegen die grausame Verfolgung ihrer Anhänger, so dass sich der eigentlich christenfeindliche Kaiser Galerius am 30. April 311 in Serdica zu einer Tat hinreißen ließ, die er im Grunde seiner Seele ablehnte: Auf dem Sterbebette erließ er ein Toleranzedik und gestattete den Christen das Abhalten von Gottesdiensten. Natürlich galten nach wie vor die römischen Götter als der christlichen Dreifaltigkeit überlegen, aber man wollte nun die Verehrung der Trinität akzeptieren und dulden. Tolerieren eben, nicht respektieren!

Dann trat Konstantin auf den Plan, ein Sohn des Kaisers Constantius, gezeugt mit Helena, über die es verschiedene Auskünfte gibt: für Bischof Ambrosius war sie „sehr niedriger Abkunft". Er bezeichnete sie als „Stallwirtin", worunter die Herbergsmutter einer Poststation mit Neigung zur Gelegenheitshure zu verstehen ist, nach anderen war sie die rechtmäßige Gattin des Teilkaisers, der in Trier residierte, über Gallien herrschte und Britannien wieder dem Römischen Reich unterwarf. Wahrscheinlich war sie deren langjährige Lebensgefährtin in verschiedenen Kriegslagern, bis Constantius das Verhältnis aufgeben musste und standesgemäß heiratete: die Kaiserstochter Theodora, mit der er seinem Erstgeborenen Konstantin sechs Halbgeschwister schenkte.

Konstantin blieb bei Vater Constantius in Britannien, wuchs also unter den Soldaten auf, die den etwa Dreißigjährigen nach dem Tode seines Vaters am 25. Juli 306 in Eburacum (York) zum Augustus ausriefen. Aber Mitkaiser Galerius in Rom lehnte diese Wahl ab, denn er wollte seinen Günstling Maxentius zum Gebieter von Trier erheben. Das führte unverzüglich zu bewaffneten Kämpfen und bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen um die wirkliche Macht im Reich. Nachdem Galerius das Toleranzedikt für die Christen erlassen und das Zeitliche gesegnet hatte, musste Konstantin seinen Konkurrenten Maxentius ausschalten, der ihn Titel und Reich streitig machen wollte, was sich ein Held wie Konstantin jedoch nicht gefallen ließ, schließlich hatte er bereits an der Seite des Vaters siegreich gegen Alemannen und Franken gekämpft.

Bei Rom, an der Milvischen Brücke über den Tiber, standen sich die rivalisierenden Machthaber am 28. Oktober 312 gegenüber. Konstantin siegte, das Heer des Gegners wurde „aufgerieben", wie die Sprache der Militärs schon damals den tausendfachen Tod von Soldaten euphorisierte, während Maxentius mit seinem Pferd in den Tiber stürzte und ertrank. Der Krieg war entschieden und würde hier gar nicht interessieren, wenn Konstantin am Morgen vor der Schlacht seinen Soldaten nicht befohlen hätte, ihre Schilde mit magischen Symbolen zu bemalen. Das hatte natürlich in erster Linie einen praktischen Sinn: der zu erwartende Feind war mit den gleichen Waffen ausgerüstet wie der Freund, denn schließlich standen römische Soldaten gegen römische Soldaten und mussten unterschieden werden. Ausgesucht hatte Kaiser Konstantin dafür das hochheilige Symbol des militärischen Dolichenuskultes, eines in Syrien beheimateten Gottes, der zu dieser Zeit von den Soldaten der Provinzen besonders gern als Jupiter verehrt wurde. Das Symbol dieses auf einem Stier stehenden Gottes war eine Doppelaxt mit Öhr, dargestellt mit dem Buchstaben X und einem Kreis zwischen den oberen Schenkeln, hergeleitet aus dem babylonisch-assyrischen Wort „chasimu" für Axt. Vor allem die Legionen mit etruskisch-minoischer Tradition benutzten dieses Zeichen, das auch später noch von Teilen der kaiserlichen Leibgarde verwendet wurde, nichts Christliches also. Aber die Christen im Heer des siegreichen Kaisers hielten das für die griechischen Buchstaben „Chi" und „Rho", eines ihrer geheimen Erkennungszeichen aus der Zeit der Illegalität, ineinandergeschoben als sogenanntes Christusmonogramm in den Sand gemalt, um zu prüfen, ob der Gegenüber wirklich ein Eingeweihter war oder nur so tat, das Vertrauen zu erschleichen, so wie sie sich auch durch das Zeichnen eines Fisches zu erkennen gaben. Nun bestätigte sich also, was sie schon immer vermutet hatten: der Kaiser war einer von ihnen – weshalb sonst hätte der sterbende Galerius im Beisein Konstantins ein Duldungsedikt zu ihren Gunsten erlassen sollen?

Der christliche Zeitgenosse Luctanz schreibt: „Im Schlaf wurde Konstantin ermahnt, die Schilde mit dem himmlischen Zeichen Gottes zu kennzeichnen und so die Schlacht zu beginnen. Er tat dies...und...indem er den Buchstaben X drehte und die obere Spitze des Buchstabens umbog, schrieb er abkürzend „Christus" auf die Schilde." Und Bischof Euseb von Caesarea, der erste Kaiserbiograph, berichtet, indem er sich ausdrücklich auf persönliche Erzählungen Konstantins berief: „Als der Tag bereit war, sich zu neigen, habe er mit eigenen Augen am Himmel selbst über der Sonne ein aus Licht gebildetes Siegeszeichen des Kreuzes erblickt, und ferner sei diesem Zeichen eine Schrift beigefügt gewesen, welche sagte: „Durch dieses siege!" Ein Erschrecken habe aber wegen dieser Vision ihn und das ganze Heer ergriffen, welches...so Zuschauer des Wunderzeichens geworden war."

Was immer Kaiser und Heer gesehen haben – denkbar wäre beispielsweise das Naturphänomen einer Haloerscheinung um die Sonne – für Konstantin stand fest: das war ein Fingerzeig des christlichen Gottes, dem er sich beugen musste. Als Beherrscher der westlichen Hälfte des Römischen Reiches bestätigte er zunächst die Duldung des Christentums. Dann erhob er es zur Staatsreligion, was seine Mutter begeisterte. Die ehemalige Gelegenheitshure Helena – so jedenfalls war sie vom mailändischen Bischof Ambrosius (339–397) beschrieben worden – hatte sich von einer Gefallenen zur Christin gewandelt. Sie hatte in Jerusalem – das die Juden noch immer nicht betreten durften – die Kirche zum Heiligen Grabe erbauen lassen und sich durch die Auffindung des Kreuzes, an dem Jesus sterben musste, unsterbliche Verdienste in den Augen der katholischen Kirche erworben, weshalb sie am 18. August eines jeden Jahres als Heilige verehrt wird.

Die Anbeter des Gekreuzigten schenkten Kaiser Konstantin für die Erhebung des Christentums zur Staatsreligion nicht nur den Titel „der Große", sie erfanden – in tiefer Verehrung für diesen Mann, vor allem aber zum Nutzen der Kirche – auch die sogenannte „Konstantinische Schenkung." Konstantin, angeblich durch Papst Silvester vom Aussatz befreit, habe dem Papst als besonderen Dank kaiserliche Gewalt und Ehren verliehen, ihn zum Richter über Glauben und Gottesdienst bestellt sowie ihm und seinen Nachfolgern die Herrschaft über Rom und ganz Italien überlassen und zum Beweis seiner Gnade mit riesigem Landbesitz versehen. Erst (oder schon?) 1440 bewies der Humanist Lorenzo della Valle die Unechtheit jener Urkunden, mit denen der Vatikan den weltlichen Herrschaftsanspruch des Papstes begründete.

Im Jahre 310 weilte Kaiser Konstantin übrigens in dem ummauerten Kastell Colonia Claudia Ara Agrippinensium, das später unter den Namen Köln zur Stadt wird. Er befahl den Bau einer befahrbaren Steinbrücke über den Rhein, 420 Meter lang, eine technische Meisterleistung der Zeit und die Errichtung eines neuen rechtsrheinischen Kastells, das er Divitian nennen ließ, von dem aus er die rebellischen Brukterer befrieden wollte. Am 11. Dezember 321 ist er wieder am Ort und hebt in einem Edikt die Freistellung der Juden von der Mitwirkung im Stadtrat von Köln, der Curia, auf. Wie jedermann haben also auch die Juden Anspruch auf Ehrenämter. „Allen Behörden erlauben wir", lässt Konstantin den Dekurionen in Köln mitteilen, „die Juden zur Curia zu berufen. Damit ihnen aber eine Entschädigung für den früheren Brauch verbleibt, so wollen wir jeweils zweien oder dreien das Vorrecht gewähren, durch keinerlei Berufung in Anspruch genommen zu werden."

Was auf den ersten Blick wie ein Gesetz zum Vorteil der Juden ausschaut, entpuppt sich bei näherem Hinsehen nämlich als ein Schritt zu deren Unterjochung: die Ehrenämter damals waren keineswegs erstrebenswert, denn sie verschlangen Zeit und erforderten Geld. Viele Vornehme drückten sich davor, zumal sie mit der Übernahme dieser Ämter zugleich auch eine Sondersteuer einzutreiben hatten, die der Kaiser zur Verwirklichung seiner ehrgeizigen Pläne für den Ausbau der Residenzstadt Konstantinopel ausgeschrieben hatte. Abgesehen davon, ist dieser Erlass das älteste Dokument überhaupt für das Vorhandensein von Juden auf „deutschem" Boden. Da der Kaiser „zweien oder dreien das Vorrecht gewähren" wollte, wie früher von der Übernahme jedweder Ehrenämter befreit zu bleiben, muss die jüdische Gemeinde Köln bereits relativ groß gewesen sein.

Im gleichen Jahr führte Konstantin per Gesetz auch die Feier des Sonntags als christlichen Ruhetag ein. Vorbild dafür war natürlich der Sabbat, allerdings um 24 Stunden verschoben, da nach biblischer Darstellung an einem solchen Wochentag der gekreuzigte und ins Grab gelegte Jesus von den Toten auferstanden war.

Jetzt, durch die Einführung des Christentums zur Staatsreligion vom Anhänger einer beliebigen Dutzendreligion im Wald der römischen Götter zum Vertreter der Religion mit Staatsmonopol erhoben, jetzt wurde der Christ zum erbitterten Feind allen Nichtchristlichens. Seit 356 wird das Ausüben jedes heidnischen Kultes aufs strengste verfolgt, die Altäre der römischen Gottheiten werden niedergerissen, ihre Tempel in christliche Gotteshäuser verwandelt, wie in Rom noch heute zu besichtigen. Nur das Judentum behält seine Sonderstellung. Vorläufig jedenfalls. Es bleibt noch religio licita, wird aber scharfen Kontrollen unterworfen und darf sich nicht weiter ausbreiten. Wird beispielsweise ein neu erworbener Sklave beschnitten, erhält er von Staats wegen die Freiheit, während sein Herr getötet wird; schafft sich ein Jude einen christlichen Sklaven an, so verliert der Käufer sein gesamtes Vermögen; wenn ein Christ zur jüdischen Religion wechselt, wird sein Besitz zu Gunsten des Staates eingezogen.

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