Hoferichter, Klaus

Marga, Unkraut vergeht nicht. Eine Berlin-Brandenburgische Arbeitergeschichte

[= Autobiographien, Band 35], 436 S., ca. 40 Fotos und Zeichnungen, 2008, ISBN 978-3-89626-843-3, 29,80 EUR

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Klaus Hoferichter wurde 1936 in einer Laubenkolonie in Berlin-Baumschulenweg geboren. Er verlebte seine ersten Jahre im „Grünen“. Aber diese Zeit war nur von kurzer Dauer. In Kreuzberg lernte er dann „Zilles Milieu“ kennen, eine feuchte Kellerwohnung mit wenig Licht. Der Krieg vertrieb seine Familie von Berlin nach Ostpreußen. In den Nachkriegsjahren wurde sie dann im brandenburgischen Wusterhausen sesshaft. Er erlernte einen ungeliebten Bauberuf, versuchte sich im Lebensmittelgroßhandel als Lagerist, war in der Forstwirtschaft tätig, um letztendlich seine Erfüllung als Museumsleiter zu finden. Außerdem schrieb er jahrzehntelang Artikel, Berichte und Porträts für die „Märkische Volksstimme“ und die „Märkische Allgemeine“.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Leseprobe

Erinnerungen und Erkundungen - Einführung
Wenn nicht jetzt, dann wird es nimmermehr! Mit diesem Vorsatz waren wir an einem klaren, frühlingshaften Februartag 2000 nach Berlin aufgebrochen. Wir wollten Stätten frühester Kindheit aufsuchen, die wir vor mehr als 60 Jahren verlassen hatten. – Jahrzehnte, der Zweite Weltkrieg, die Hungerjahre der Nachkriegszeit, 40 Jahre „Eiszeit“ im geteilten Deutschland und Europa liegen dazwischen. Die dramatische Wende 1989 im November, an die keiner mehr geglaubt hatte! Wir hatten doch alle unser Leben eingerichtet, Ost wie West! Seitdem sind schon wieder viele Jahre ins Land gegangen. Wir Deutschen mit den konträren Biographien, 40 Jahre sind kein Pappenstiel! Wie sagte Willy Brandt so schön: Wir sollen zusammenwachsen, nicht wuchern. Immer hört man die mutmachenden Worte „Was zusammengehört, soll auch eins sein!“ – Aber dafür benötigen wir noch einen langen Atem!
Unser Berlin wieder vereint, so wie ich es als Kind erlebt hatte. Ohne das Monstrum antifaschistischer Schutzwall! Straßen führen nicht mehr ins Leere.
Sanft wiegt mich die S-Bahn auf der Fahrt nach Baumschulenweg. Obwohl vieles optisch fremd, unpersönlich wirkt, fühle ich mich in Berlin heimisch, wenn auch nur für einen Tag. Nie wurde es mir so bewusst wie in diesem Moment: Was ist die Spanne eines Menschenlebens?
Ich werfe einen Blick auf Theo, meinen ältesten Bruder. Ja, wir sind in die Jahre gekommen, in die Sechziger, grausilber mit lichtem Haar! Gezeichnet von einer verlorenen Kindheit, Krieg, Todesängsten, Hunger, Entbehrungen, von einer Diktatur nach der anderen. Eingemauert im Land „der Arbeiter und Bauern“. Eine Wende, die unserer Generation nicht nur die Freiheit brachte, sondern Vorruhestand, Arbeitslosigkeit, Frührententum mit „Almosen“. Wir werden nicht mehr gebraucht, gehören zum alten Eisen. Welch ein Lebensabend! – Der Kreis schließt sich für uns. Welch Parallelen mit dem Leben unserer Eltern, Margarete und Max. Er nannte sie liebevoll Marga, Grete, Grelekin. Auch sie hatten Träume Anfang der 30er Jahre, sehnten sich nach ihrem kleinen Glück!
Finden wir noch Spuren, wo einst unsere Wiege stand? Wo wir unsere ersten Schritte machten, in der Laubenkolonie „Heimgarten“? Oder bleiben alles vage, verblasste Erinnerungen?
Was hatten wir nun an Orientierungen, ein paar Straßennamen, die allen Veränderungen der Jahrzehnte standgehalten hatten. Den ungefähren Standort von „Heimgarten“, zwischen S-Bahn, Plänterwald und Spree. Wir standen am Ausgang der Bahnstation Baumschulenweg wie Pfadfinder, es fehlten nur noch Karte und Kompass! Eine Lageskizze für den Weg in die Vergangenheit war unser einziger Anhaltspunkt und die Hinweise unserer Mutter, Marga. Insgeheim hoffte ich auf das größere Erinnerungsvermögen meines älteren Bruders Theo!
Aber schon hier am Anfang unseres Unternehmens „Familienchronik“ zeigte sich – auf diese Hilfe konnte ich nicht bauen!
Theo schaute mich erwartungsvoll an, wohin gehen wir jetzt? Ja, wohin fragte ich mich auch.
Er stichelte, nun Klaus, zeig doch mal die Marschrichtung an, er wies auf meine Lageskizze.
Bist du nicht der bessere Fährtenleser, mit deinen Erfahrungen bei der HJ und der Kasernierten Volkspolizei und NVA?, konterte ich.
Der Skizze nach müsste sich die Laubenkolonie „Heimgarten“ zwischen der Köpenicker Landstraße und der Neuen Krugallee befunden haben. Dahinter liegen der Plänterwald und die Spree. Vis á vis von der Köpenicker Landstraße die S-Bahn mit der Station Baumschulenweg.
Theo blieb passiv, als wäre ich ein Fremdenführer. Na Theo, denk doch einmal nach, Mama hatte doch eine Sportanlage erwähnt. Von der Laubenkolonie konnte man die S-Bahnanlage sehen und, wenn der Wind günstig war, sie hören! Wir umwanderten das Wohnviertel, schauten hinter jedem Haus, jeder Hecke. Mir ging der Hinweis der Archivarin aus der Treptower Verwaltung durch den Sinn, dass die Kleingartenkolonie ‚Heimgarten‘ zu Gunsten des Wohnungsbaues nach und nach geräumt werden musste und auf diesem Gelände zwischen 1929 und 1931 eine umfangreiche Wohnanlage errichtet wurde. Was die Archivunterlagen jedoch nicht hergeben: Auch danach herrschte bis 1939 dort noch reges Leben, wurden Kinder geboren, auch drei „Hoferichter“ gehörten dazu! Nicht einmal Marga und Max würden heute ihr Baumschulenweg wiederfinden! Und erst recht wir, die doch nur einige hier Jahre lebten! Fünf Kleingartenanlagen bestehen heute noch in Baumschulenweg, aber von „Heimgarten“, unserer ehemaligen Heimstatt, keine Spur!
Liefen zum wiederholten Mal das Karree Köpenicker Landstraße, Neue Krugallee ab, auf unsere Fragen überall nur Kopfschütteln, „Heimgarten“, nie gehört. Scheinbar wohnten hier nur noch Zugereiste! Theo wurde ungeduldig, resignierte, was suchen wir eigentlich hier noch? Ich aber wollte noch nicht aufgeben, einiges gewöhnt als ehemaliger Museumsmann. Irgendetwas musste sich doch finden lassen. Ich musste mir aber selbst eingestehen, eine Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen zu betreiben.
Theo, noch ein letzter Versuch, wieder schaute ich nahe einer Sportanlage hinter einer Hauszeile aus den 30er Jahren. Man sah von hier aus in der Ferne die S-Bahn. Gerade fuhr dort eine rot-gelbe auf den Bahndamm. Siehst du auch, was ich sehe? Theo lauschte, man hörte schwach die Elektromotoren und das Rattern der Räder. Auch in seine Augen kam ein Strahlen. Ja, man konnte von „Heimgarten“ die S-Bahn hören! Dann müsste hier der Standort der Anlage gewesen sein, frohlockte ich. Mit schnellen Schritten umrundete ich die Häuser, meinem Blick bot sich zwischen den Hausreihen von Köpenicker Landstraße und Neuer Krugallee eine Kleingartenanlage. Sind das die Reste von unserer alten Heimat „Heimgarten“? Denn ein Teil der Kolonisten konnten später wohnen bleiben. Die höchsten Markierungspunkte sind Birnbäume, kleine Holzhäuschen aus der Wendezeit. Aber keiner der anzutreffenden Leute konnte uns auf unsere Frage eine Antwort geben.
Theo drängte, unsere Zeit ist bemessen, wir wollen nach Kreuzberg, zur Lübbener Straße und zum Heckmannufer. Auch dort verlebten wir schwere Jahre mit Luftangriffen, Angst um unser Leben!
Unser Weg führte durch den Plänterwald zur Spreepromenade, die fast bis zur Oberbaumbrücke führte. Meine Gedanken aber kreisten noch um unser „Eden“, aus dem wir vertrieben wurden. Die kleine Erdscholle, die für Max und Marga das große Glück bedeutete, trotz des kargen Lebens! Keiner wird mir noch eine befriedigende Antwort geben. Marga ist im Juni 1999 verstorben, Vater Max seit 1945 vermisst in Kurland (Lettland). Warum hat unsere Mutter nie wieder die Stätte ihrer glücklichsten Jahre aufgesucht?
Über uns rauschte das Laub, ein breiter Weg führte direkt zur Spree, die auch bald als blaues Band zu uns herüber grüßte. Eine Lichtung weitete sich, dort befindet sich noch immer die Sportanlage, die Theo als Pimpf kennen lernte. Hier zelteten sie, studierten Karten und lasen Kompass, machten „Schnitzeljagden“. Das hatte uns riesigen Spaß gemacht, stellte er nachdenklich fest.
Hier irgendwo betrieb doch Frau Klose ein Toilettenhäuschen, versteckt zwischen Jasminbüschen. Hatte die nicht einen blaufarbenen Papagei?, fragte ich. Theo nickte, der machte sich bei jedem Toilettenbesucher bemerkbar. Ich meinte plötzlich den schweren, süßen Duft von Jasmin wahrzunehmen, obwohl wir jetzt Ende Februar hatten! Frau Klose schnitzte uns mit großem Geschick aus Jasminholz Flöten, die sogar funktionierten. Da, zwischen überwuchertem Gestrüpp ragten Mauerreste, die Bedürfnisanstalt, der Frau Klose vorstand!
Als wir aus dem Plänterwald heraustraten, fiel uns gleich eine Bank auf. Ob sich hier Max und Marga nach den Mühen des Tages erholten? Sie von uns Kindern, Max von der Kohlenschlepperei, Bau- und Friedhofsarbeit? Mutter erzählte mir oft, es waren schöne Stunden der Zweisamkeit, es dunkelte, aus den Büschen leises Schluchzen und Flöten der Nachtigallen, die sie sehr mochte. Max hatte den Arm fest um ihre Schulter geschlungen, drückte sie zärtlich an sich. Sie sprachen dabei kein Wort. Auf der Spree fuhren hellerleuchtete Dampfer, Swingmusik schallte herüber, „Negermusik“, wie die Nazis sagten. Die sie bald verbaten.
Theo aber bewegte sich schon auf der Spreepromenade stadteinwärts. Stark belebt ist dieser Weg, viele Hundehalter kamen uns mit Hunden aller Couleur entgegen. Hunde wie Herrchen schauten uns neugierig an, meinten es wohl mit „Landeiern“ zu tun zu haben!
Wir trugen an unseren Erinnerungen und an Berlin, das uns so fremd geworden ist.
Wir kamen an der Ausflugsgaststätte „Eierhäuschen“ vorbei, die sehr beliebt war, leider jetzt geschlossen ist. Es heißt, sie soll wieder zu einem attraktiven Ausflugsziel gestaltet werden, traditionelle Eiergerichte auf der Speisekarte anbieten.
Die hochgeschwungene Abteibrücke trat in unser Blickfeld, linkerhand der geschlossene Spreepark, hier stand unser „Stralau-Fischzug“-Rummel! Ein Stück weiter die Anlegestellen der früheren Weißen Flotte. In der Ferne hebt sich vom Himmel die Silhouette der Oberbaumbrücke mit ihren Türmen ab, auf denen Bär und Adler der Länder Berlin und Brandenburg in der Sonne blitzen. Von uns aus rechts an der Spree die ehemaligen Gebäude und Speicheranlagen des alten Osthafens.
Unser Spickzettel zählte eine Reihe von Orten aus ferner Kindheit auf: Treptower Park mit dem Ehrenfriedhof (früher Liegewiese), Sternwarte, Karpfenteich, Landwehrkanal, Brücken und Schleusen, unsere Wohnhäuser Heckmannufer 4 und Lübbener Straße 12. Die Hochbahn der Linie 1, die Markthalle in der Eisenbahnstraße, Görlitzer Bahnhof (jetzt Park) und weitere Ziele!
Ich wollte speziell zum Lausitzer Platz, meiner Taufkirche Emmaus einen Besuch abstatten. Theo wollte unbedingt zum Brandenburger Tor! Ein zeitaufwendiges Programm, das einfach nicht zu schaffen war! Als Fazit des Tages brennende Fußsohlen, eine uns fremdgewordene Stadt. Selbst „unsere“ Häuser blieben uns fremd, fremde Sprachen schallten uns entgegen. Hier herrschte jetzt eine „Multikultigesellschaft“, überall in unserem Kreuzberger Kiez. Frauen mit Kopftüchern, umgeben von vielen Kindern. Dieses Sprachengewirr zwischen Landwehrkanal und Hochbahn war für unsere Ohren ungewohnt.
Am meisten verblüffte mich das Problem der Perspektiven. Als Kind kam mir alles weit, hoch, breit vor. Jetzt schaute ich von der Schlesischen Brücke nach Heckmannufer rüber, wie klein wirkte doch alles! Ich wurde traurig, alte Schreckensbilder tauchten auf, die alte Stahltür vom ehemaligen Luftschutzkeller, Heckmannufer 4. „Meine“ Kastanie gab es auch nicht mehr in der Lübbener Straße 12!
Schweigend machten wir uns auf den Heimweg, bestiegen den Zug Richtung Warschauer Straße. Nachdenklich schaute ich aus dem Fenster, im Ohr das Rattern über den Viadukt, über die Oberbaumbrücke und Spree, das war’s!

1995 hatte ich beschlossen, die Geschichte unserer Arbeiterfamilie aufzuschreiben. Dieses zügig zu realisieren, erwies sich als Fehleinschätzung. Dem standen enorme Schwierigkeiten im Weg, die für die Jahre 1932–45 nur mit Hilfe Margas, Theos, Hans’ und anderen Zeitzeugen zu lösen waren. Mein wichtigster Zeitzeuge, Marga, zweifelte daran, dass ich das zustande bringen könnte. Sie ging dabei von ihren Möglichkeiten aus. Sie unterschätzte auch meine Zähigkeit, Verbissenheit! Immer wieder fragte sie mich, ist das nicht zu schwer für dich? Sie sah durchaus, es verlangte mir alles ab, ich kam nachts oft nicht zur Ruhe.
Wenn ich gewusst hätte, sagte sie ein anderes Mal, dass eines meiner Kinder so etwas kann, hätte ich doch Tagebuch geführt! Und ausgerechnet der Träumer und Philosoph, der Klaus! Das konnte sie überhaupt nicht begreifen. Sie konnte es einfach nicht fassen, dass eines ihrer Kinder „aus dem Rahmen“ fiel und sich mit Dingen beschäftigte, wovon sie überhaupt nichts verstand. Aber stolz war sie schon!
Ihr war es nicht vergönnt bei vierzehn Geschwistern, länger als nötig die Schulbank zu drücken – Volksschule verkürzt und dann raus ins Leben! Lehre ist nicht drin, bestimmte Vater Karl. Dann stand sie erneut in der „Brandung des Lebens“ mit sechs Kindern und allein. Max war nur „Kurzurlauber“ vom Krieg in Polen, Holland, Belgien, Luxemburg, Frankreich und Russland, aus dem er nicht heimkehrte. Mit all ihren Kümmernissen und Sorgen blieb sie allein.
Das alles beschäftigte mich, ich musste es mir von der Seele schreiben! 1996 begann ich mit den Aufzeichnungen unser aller schmerzlichen Erinnerungen. Marga und Theo wurden meine wichtigsten Quellengeber. Die Sisyphusarbeit brachte meine Gedankenwelt mehr als einmal fast zum Bersten. Auf welches Terrain hatte ich mich da eingelassen?
Wie aufwendig, mühevoll war es, Mosaik zu Mosaik des Lebens zu ordnen, einzufügen! Es gab Nächte, da schreckte ich auf. Gedankenblitze, die mich zwangen, sie gleich zu Papier zu bringen! Es sollte nichts vergessen werden für die Nachwelt, unsere Kinder, Enkel und Urenkel! Sie sollten erfahren, wie schwer es war, in zwei Diktaturen zu leben! Es darf nie wieder Krieg geben, nie wieder!
Mitunter zweifelte ich an dieser „Schreiberei“, es forderte Substanz, ich spürte es wohl, aber der innere Drang, alles zu Papier zu bringen, ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Dann wieder die Zweifel, ist es nicht ein paar Nummern zu groß? – Zeitverschwendung, Zeit meines Lebens?
Dazu die Sorge, Mutter Marga war nicht mehr die Jüngste, Gesündeste! Sie hatte den zweiten Herzinfarkt überwunden, der sie in ihrem Inneren erschüttert hatte. Kann ich ihr das alles zumuten, sie weiter hartnäckig befragen? Aber was sollte ich machen, ihre Lebensuhr tickte unaufhörlich! Ich steigerte mein Schreibpensum, die Rohfassung unserer Familiengeschichte sollte Marga „absegnen“, dann könnte ich mit der nötigen Sicherheit daran weiterarbeiten!
Hinzu kam die andere Seite, Korrespondenz mit Institutionen, anderen Zeitzeugen. Wieder vergingen die Monate im Fluge. Mutters Gesundheit wurde immer labiler, selbst ihr Hausarzt sagte: Es grenzt fast an ein Wunder, das Ihre Mutter die Infarkte überlebt hatte. Sie hat eine Bärennatur! Inzwischen war sie fast fünfundachtzig Jahre, ihr Erinnerungsvermögen ließ rapide nach. Ich suchte sie immer öfter auf, sie wartete auf die Fortsetzungen unserer Geschichte. Sie meinte, es wäre so, wie wenn sie starken Kaffee tränke! Das Herz schmerze sie. Ich fragte besorgt, soll ich Abstand von den Lesungen nehmen? Ihre Augen leuchteten, nein, nein, du kannst mir keine größere Freude bereiten als diese.
Im Mai 1999, gerade hatte ich einen weiteren Abschnitt vorgetragen, spürte ich, sie wirkte recht sonderbar. Sie schien nichts aufzuheitern, ihre Augen hatten kein Leuchten mehr. Sie schien loszulassen, alles, was ihr bisher noch Freude machte. Beunruhigt packte ich mein Manuskript ein. Beim nächsten Besuch hörte sie zwar zu, aber ohne innere Spannung. Unvermittelt sagte sie, sie verstehe die Welt nicht mehr, was soll sie hier noch? Die vielen Schmerzen ertragen, weshalb eigentlich? Sie habe nachts in wirren Träumen ihre Mutter Marie, Vater Karl und die Schwestern gesehen. Es wäre Zeit heimzukehren!
Mir fiel wieder der Doktor ein, noch einen Herzinfarkt würde sie nicht überstehen. Ich dachte, im September wird Mutter fünfundachtzig Jahre, eigentlich ein schönes Alter. Müssen wir nicht alle einmal loslassen?
Unverhofft, als meine Schwester Silvia Mutter besuchte, sackte sie in ihren Armen zusammen. Es war der von uns allen gefürchtete Herzinfarkt. Ihr Leben, das mehr Sorge und Leid als Freude brachte, vollendete sich am 4. Juni abends. Keiner von uns Kindern konnte Abschied nehmen, so plötzlich starb sie im Krankenhaus, einsam und allein.
Die Lebensbilanz: Zwei Weltkriege, Verlust ihres geliebten Max, acht Kinder, dazu 22 Enkel, 15 Urenkel, denen sie allen ein Leben in Frieden wünschte!
Seitdem sind schon wieder sieben Jahre ins Land gegangen, ich schreibe noch immer an unserem „Werk“. Theo fragt nicht mehr, wie weit ich mit der Arbeit in Einsamkeit zurecht komme, er meint nur, es wird Zeit, wir kommen in die Jahre!
Es ist keine endlose Geschichte, sie ist im Kasten. Das Wesentliche vom Leben einer Berlin-Brandenburger Arbeiterfamilie kann man jetzt nachlesen.

 

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