[= Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät, Band 97], trafo verlag, 2008, 188 S., ISBN 978-3-89626-757-3, 17,80 EUR
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Konferenz „Bildung und Toleranz"
Dieter Kirchhöfer: Bildung und Toleranz. Einführung 5
Matthias Platzeck: Grußwort für die 6. Toleranzkonferenz in Oranienburg 9
Dieter Wiedemann: Von intoleranten Medien, falschen Vorbildern und neuen
Hoffnungen in der Bildung 11
Dieter Kirchhöfer: Gewalt und Bildung 25
Dietmar Sturzbecher & Kai Breitling: Wie tolerant sind Kinder? Möglichkeiten der
Toleranzförderung in Kindergarten und Schule 35
Eberhard Mannschatz: Zur Debatte über Jugendgewalt. Bemerkungen aus
sozialpädagogischer Sicht 47
Aus Plenar- und Klassensitzungen
Hans-Otto Dill: Der Nord-Süd-Gegensatz oder Erste vs. Dritte Welt: eine
Hauptachse der Weltgeschichte 55
Günter Benser: Umkämpfte Akten und Bücher. Was wurde aus den Archiven und
Bibliotheken der Parteien und Organisationen der DDR? 83
Stefan Bollinger: 1968 - Revolten und Reformen am Ende alter Welten - Chancen
und Scheitern in Ost und West 101
Herbert Meißner: Zum Verhältnis von Produktivkräften und
Produktionsverhältnissen bei Marx und heute 117
Diskussionsbeiträge zum Vortrag von Herbert Meißner
Wolfgang Eichhorn: Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse - eine lebendige Problematik 131
Christa Luft: Kein Ende der Geschichte 142
Gerd Friedrich: Anmerkungen zum Vortrag von Herbert Meißner 145
Horst Bredekamp: Die Unebenheit des Mondes und der Schmutz der Sonne. Forschungskampagnen der Jahre 1610-1612 149
Vortrag auf dem Kolloquium „Klima - Balance - Klimabalance"
Herbert Hörz: Zur Balance zwischen rationaler und ästhetischer Aneignung der Welt. Anmerkungen zur Klimadebatte 153
Rezensionen
Herbert Hörz:
Komplexität und
Interdisziplinarität
Peter Jörg Plath, Ernst Christoph Haß (Hrsg.),
Vernetzte Wissenschaften 177
Ulrich van der Heyden: Justesen, Ole (Ed.), Danish Sources for the History of Ghana 184
Armin
Uhlmann: Über
Thermodynamische Gleichgewichte. Arbeiten von Max Planck,
hrsg. und eingeleitet von Werner Ebeling und Dieter Hoffmann
187
VORWORT
Dieter Kirchhöfer
Bildung und Toleranz Einführung
Am 27.10.2007 fand die nunmehr 6.Gemeinsame Wissenschaftliche Konferenz der Leibniz-Sozietät und des Mittelstandsverbandes Oberhavel in Oranienburg statt. Die Konferenz hatte sich mit dem Zusammenhang von Bildung und Toleranz einen aktuellen Schwerpunkt gewählt, der gegenwärtig in der Öffentlichkeit von sehr unterschiedlichen Positionen aus und mit z.T. entgegengesetzten Argumenten diskutiert wird. Das öffentliche Interesse wurde durch das Grußwort des Ministerpräsidenten Mathias Platzeck an die Konferenz und die Begrüßung durch den Mitveranstalter Prof. Dr. Lothar Ebner hervorgehoben.
Die vielfachen Anzeichen von wachsender Schülergewalt, sichtbar werdender Überforderung der Lehrer, Kindervernachlässigung und -missbrauch, alltäglichem jugendlichem Vandalismus, haben neben Hilflosigkeit eine zugleich wachsende Sensibilität der Öffentlichkeit erzeugt, die zwischen Empörung, Ruf nach höheren Strafen und Rechtsmitteln, der Klage über den Einfluss der Medien oder auch resignierender oder tolerierender Gleichgültigkeit schwankt.
Die Veranstaltung ging von der Überlegung aus, dass Bildung neben sozialer Herkunft, ethnischer Zugehörigkeit, Generationsbeziehungen, praktizierter staatlicher Autorität ein wesentlicher Einflussfaktor für die Ausprägung, Ausbildung und Entfaltung von Toleranz ist und eine Voraussetzung dafür sein kann, dass Gewaltbereitschaft, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus zurückgedrängt werden können. Soziologische Analysen zeigen, dass höhere Bildungsabschlüsse, vielseitigere geistige Interessen, kulturelle Aktivitäten die Gewaltbereitschaft reduzieren und die Ausprägung toleranter Haltungen stützen. Die Situation unter den Jugendlichen (s. 12.Kinder-und Jugendbericht, Shellstudie 2006) zeigt aber auch, dass die Ressourcen des Miteinanderredens und verbaler Argumentationen erschöpft zu sein scheinen. Insofern war übereinstimmende Auffassung der Teilnehmer, dass den Jugendlichen Tätigkeitsfelder angeboten oder mit ihnen erschlossen werden müssen, in denen Möglichkeiten und Formen gewaltfreien Handelns praktiziert werden.
In dem Zusammenhang hatte sich die Konferenz das Ziel gestellt, Initiativen, Projekte, Experimente an Schulen zu dokumentieren, in denen in der Zusammenarbeit von Schülern und Lehrern ein Klima der Toleranz, der gewaltfreien Kommunikation und des gegenseitigen Verständnisses angestrebt wird. Es war erklärtes Ziel des Kolloquiums, mit dem Kolloquium in die regionale Szene schulischer Bildung hineinzuwirken. Die Veranstalter hatten deshalb, der Intention des Themas folgend, Lehrer und Schüler des Oberstufenzentrums Zehdenik und des Ferdinand- Runge-Gymnasiums als Gesprächspartner und Referenten eingeladen. Sowohl die Direktoren Uwe Seidler vom Runge-Gymnasium und Dieter Starke vom Oberstufenzentrum Oranienburg wie auch die Schüler Paul Kettner, der u.a. mit Erfahrungen aus dem eigenen USA-Schüleraustausch agierte, oder Enrico Entrich, der u.a. problematisierte, ob ein intolerantes System wie Schule zu Toleranz erziehen kann und Patrick Nachtigall vom Georg Mendelheim Oberstufenzentrum in Oranienburg, betonten die Bedeutsamkeit einer umfassenden schulischen Bildung, aber auch entsprechender Lernprozesse in der schulischen Sozialisation für die Herausbildung toleranter Haltungen. Toleranz - so ihre Erkenntnis - ist wesentlich Resultat gelingender Beziehungsarbeit.
Auch in diesem Jahr wurde die Tagung durch renommierte Wissenschaftler des Auslandes - Prof.Dr. Hawk vom New Yersey Institute of Technology - wahrgenommen, der in einem umfassenden Beitrag Grundvorstellungen eines flexiblen Bildungsmanagements entwickelte. Das Hauptreferat hielt Herr Prof Dr. Dieter Wiedemann, Präsident der Filmhochschule „Konrad Wolf, Babelsberg, das im nachfolgenden Teil publiziert wird. In diesem Zusammenhang muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass auf die vollständige Wiedergabe der Beiträge verzichtet wird und nur die ausgewählt werden, die Positionsbildungen im wissenschaftlichen Diskurs anbieten. Prof. Wiedemann referierte kritisch über die heutige Medienlandschaft - mit der Mehrheit der Teilnehmer übereinstimmend - und stellte den Zusammenhang zu Bildungsansprüchen und Bildungsniveau der Medien einerseits und der Bevölkerung andererseits her. Besonders aufschlussreich waren seine Ausführungen zum politischen Kontext der Mediengestaltung und der manipulativen Funktion gegenwärtiger Medienprogramme. Der gewollte mündige kritische Bürger verlangt - nach seiner Ansicht - auch ein qualitativ hochstehendes Medienprogramm. Quotenorientierung und Zielgruppenorientierung der medialen Werbung stehen dem entgegen.
Der schulnahe Teil des Kolloquiums wurde durch einen Beitrag von Prof. Dr. Dieter Kirchhöfer eingeleitet, der ein Pfadmodell vorstellte, das den Zusammenhang von Bildung und Gewaltakzeptanz bzw. -ausübung belegte. Bildung wurde dabei weniger als Anhäufung von Wissensbeständen durch Belehrung oder Beschulung oder als äußeres Kompendium von Bildungsqualitäten verstanden, sondern als Bildung der menschlichen Persönlichkeit im Sinne ihrer praktischen Handlungsfähigkeit, die in der Einheit von Wissen, Wertorientierungen, Verhalten und Haltungen existiert und wirkt. Kern der Toleranz als Kompetenz sind die Wertorientierungen der Persönlichkeit, deren Wertgefüge und komplexes Zusammenwirken. Hauptweg der Herausbildung von Toleranz ist deshalb die Aneignung entsprechender Wertorientierungen in den sozialen Beziehungen in der Familie, in der Schule außerhalb des Unterrichtes, der Öffentlichkeit. Erst in zweiter Linie - wenn auch nicht zweitrangig - sind es die Bildungsinhalte und die kognitiven Kompetenzen zur Antizipation von Handlungen und ihren Folgen, der Reflexion der beobachteten und erfahrenen Erscheinungen, der rationalen Verfügbarkeit über Konfliktlösungspotentiale. Entgegen vielfach geäußerter Auffassungen vertrat Kirchhöfer die Ansicht, dass Toleranz nicht lehrbar und auch durch moralische Appelle nicht vermittelbar sei, sondern der Autorität des Lehrers bedarf.
Mit besonderer Aufmerksamkeit wurde der sehr anschauliche Beitrag von Prof. Dr. Sturzbecher, Direktor des Instituts für Angewandte Kindheits- und Jugendforschung der Universität Potsdam, aufgenommen, der zeigen konnte, dass Toleranz schon in frühen Kindesjahren gelernt werden muss und kann. Beide Referate und der Beitrag von Eberhard Mannschatz sind im Folgenden gleichfalls im vollen Wortlaut veröffentlicht.
Trotz bemerkenswerter Resonanz der Veranstaltung unter den
Schulen der Region band die Konferenz nur wenige regionale Akteure ein. Die
Bewegung zu mehr Toleranz und gegen Gewalt in den Schulen - so stellte die
bildungspolitische Sprecherin der Linken im Brandenburger Landtag, Frau Geritt
Große, fest - ist reicher und vielfältiger als das durch die Konferenz
aufgefangen und widergespiegelt werden konnte. Möglicherweise sind die
Veranstaltungen auch überfordert, wenn man von ihnen verlangt, Leit- und
Koordinierungsfunktion im Territorium zu übernehmen. Es war insofern ein
beachtenswertes Zeichen, dass von der Konferenz ein Aufruf zu einem regionalen
Wettbewerb zur Auseinandersetzung mit Thesen der „Dresdner Schule" der NPD
ausging, der u.a. von den Sozietätsmitgliedern Christa Luft, Christa Uhlig,
Erich Hahn, Uwe-Jens Heuer, Rolf Löther, Herbert Meißner, Dieter Kirchhöfer und
Kurt Pätzold unterstützt wird. Wir werden über den Fortgang der Arbeiten an
diesem Projekt berichten.
Matthias Platzeck
Grußwort für die 6. Toleranzkonferenz in
Oranienburg
Liebe Gäste,
herzlich willkommen in dieser traditionsreichen Stadt und herzlich willkommen in
Brandenburg.
In diesem Jahr jährt sich der 350. Geburtstag des preußischen Königs Friedrich
I. Er war mit einer Oranierprinzessin, Louise Henriette, verheiratet und beide
fühlten sich den unveränderlichen Werten von Weltoffenheit, Toleranz und
Religionsfreiheit verbunden. So spiegelt die Geschichte Oranienburgs die
Hoffnungen und die Möglichkeiten wider, wenn die genannten Tugenden mit Leben
erfüllt sind, aber auch, welch unendliches Leid und welche Verbrechen geschehen
können, wenn sie mit Füßen getreten werden.
Im sechsten Jahr treffen sich international etablierte Wissenschaftler der
Leibniz-Sozietät mit Unternehmensvertretern der Region, mit Schülern und
Studenten. Die diesjährige Konferenz umfasst die Bereiche Toleranz und Bildung.
Toleranz und Bildung - das sind die Grundvoraussetzungen einer offenen und
modernen Gesellschaft. Aber was stellen wir uns unter „offen" und „modern" vor?
Ist das eine vom anderen losgelöst zu betrachten? Oder bedingen sich beide
Eigenschaften? Wir wollen ein Land sein, das offen für neue Ideen, für kreatives
Potenzial und neue Perspektiven ist. Wissenschaft, Forschung und Entwicklung
gedeihen am besten in einem Klima der Offenheit, der Toleranz und des
Miteinanders.
Damit unser Land im 21. Jahrhundert eine erfolgreiche und lebenswerte Region
sein kann, brauchen wir die Offenheit für neue Technologien, für Menschen mit
neuen Ideen und viel Kreativität. In einer globalisierten Welt können sich die
Besten der Besten aussuchen, wo sie ihre Pläne verwirklichen. Es sind das
kreative Umfeld und die Aufgeschlossenheit, die den Ausschlag geben. Ich bin
überzeugt: Die Region Berlin-Brandenburg hat das Zeug dazu, in den kommenden
Jahrzehnten eine der attraktivsten und erfolgreichsten Regionen Europas zu sein.
Ihr
Matthias Platzeck