Gerhard Schumacher besitzt die wunderbare Gabe frecher,
ungewohnter Formulierungen für teils sehr ernste Angelegen-heiten, die an
der Spree nun mal ver- und behandelt werden. Seine Sichten nun als Büchlein,
dicht an dicht, zu lesen, bieten einen ganz neuen Reiz der Lese und Denke.
Mal mit Lächeln, mal mit Zornesröte.
Probieren Sie es!
Leider hat er fast immer recht. – Oder?
Vorwort
Es war in der Januarausgabe 2009 von LEIPZIGS NEUE: Eigentlich war in
dieser Stadt alles in Butter..., so schrieb Gerhard Schumacher in seinen
ersten „Notizen aus der Hauptstadt der BRD“ und setzte danach die Pointe
...und dann wurde die Mauer abgetragen.
Nein, an dieser Stelle keine Aufarbeitung all dessen, was nun gut zwei Jahre
später der Anlass eines 50. Jahrestages - nicht der Abtragung, das Jubiläum
wird es auch noch geben – so mit sich brachte. Vieles haben wir bei anderen
erlesen, vieles haben wir ertragen, vieles machte uns sprachlos. Wie sang
einst das DISTEL-Kabarett in der Hauptstadt der DDR: Da hat vor 50 Jahren
noch keiner dran gedacht.
Unser Kolumnist lebt und arbeitet als freier Schriftsteller mit Frau, Hund
und diversen Vögeln in Berlin. Das war zumindest in den ersten Monaten sein
Nachsatz, wir haben ihn dann weggelassen, denn dieser Berliner, mit Herz und
Schnauze und Biss, musste dem LN-Leser bald nicht mehr „erklärt“ werden.
Er kennt und liebt seine Hauptstadt und ist wütend auf alle Pappenheimer,
die sich in ihr austoben.
Gerhard Schumacher besitzt die wunderbare Gabe frecher, ungewohnter
Formulierungen für teils sehr ernste Angelegenheiten, die an der Spree nun
mal ver- und behandelt werden. Seine Sichten nun als Büchlein, dicht an
dicht zu lesen, bieten einen ganz neuen Reiz der Lese und Denke. Mal mit
Lächeln, mal mit Zornesröte. Probieren Sie es!
Leider hat er fast immer recht.
Michael Zock
Chefredakteur LEIPZIGS NEUE
LESEPROBE
Morbus Berlinensis
Ihr Wahlkampf in Berlin sei ganz schön keß gewesen, ließ sich die
verhinderte Regierende Bürgermeisterin Renate K. unlängst im Berliner
Tagesspiegel vernehmen. Kann man unbesehen glauben. Schon die großflächig
verklebten Kampfparolen (Renate arbeitet, Renate kämpft, Renate sorgt),
ließen den Betrachter augenblicklich in einen Zustand gesteigerter Erregung
erzittern. Ganz schön mächtig keß, geradezu tollkühn keck und noch dazu
beispiellos originell. Es konnte einem ausgesprochen schwindlig werden. Die
Grünen sollten sich unbedingt überlegen, das Konzept für die nächsten
Urnengänge weiter auszubauen, z. B. Renate kocht, Renate spült, Renate
spinnt…
Trotz allen Draufgängertums hat es dann ja nun bekanntlich nur zum dritten
Platz gereicht, nix da mit Königin von Berlin, statt dessen geht’s zurück
ins Bundesglied. Ist wahrscheinlich auch besser so, jedenfalls für die
Stadt. Aber, kaum hat sich die kesse Renate in den Plenarsaal des Bundestags
verabschiedet, gibt es handfesten Zoff in Partei und Fraktion. Was war
geschehen?
Die Fraktion wählte ihre alten zu ihren neuen Vorsitzenden, nämlich Frau Pop
(kein Druckfehler) und Herrn Ratzmann. Alles wie gehabt. Und nun platzt die
Bombe. Ein „linker Flügel“ begehrt auf, will auch einen Vorsitzenden
abbekommen, so ginge es ja nicht, schließlich sei man eine starke
Gruppierung und dürfe nicht mit den anderen in die rechte Ecke gesteckt
werden und so jammer und so fort.
Mal ehrlich, hätten Sie das vermutet? Die Grünen haben einen linken Flügel!
Donnerlittchen, was für eine Enthüllung. Kaum zu glauben, aber jetzt ist es
raus. Bei den Berliner Landesverbänden der Sozialdemokraten (SPD und LINKE)
wurde das gerüchteweise ja auch schon vermutet, aber bei den staatstragenden
Besserverdienern mit dem Häkelwestenimage längst vergangener Tage? Da kommt
einem glatt das Müsli hoch. Skandal im Grünlichtmilieu!
Nun ist guter Rat ganz schön teuer. Nach bestem Baden-Württembergischem
Vorbild muß ein Schlichter her, nein, besser noch zwei, wegen der Quote.
Nämlich Frau Hustedt, ihres Zeichens Politikberaterin, und Herr Wieland,
ehemals sehr kurzzeitiger Justizsenator. Die sollen’s nun richten. Wetten
daß?
Auch für den medizinischen Laien zeigen sich deutlich die Symptome jener
seltsamen Krankheit, die mehltauartig die politischen Führungsfiguren
jedweder Couleur befällt, und zwar periodisch. Man nennt sie Morbus
Berlinensis, sie geht einher mit ausgeprägtem Hauen und Stechen, besonders
in den eigenen Reihen. Der Forschung ist es bislang nicht gelungen, ein
wirksames Mittel dagegen zu entwickeln. Die Rückfallquote scheinbar schon
Geheilter ist einfach zu groß. Letztes Beispiel lieferte der flotte Dreier
CDU/CSU/FDP der Bundesregierung. Selbst nach weitestgehender Isolierung des
Haupterregers Guido W., konnte die Epidemie, trotz oder wegen des
medizinischen Fachpersonals in den eigenen Reihen, nicht wirklich eingedämmt
werden, sondern schwelt lustig vor sich hin und bricht immer mal wieder aus.
Derzeit neben Berlin auch in Bayern in der Franz-Josef Gedächtnis-Union, der
christlich-sozialen, oder wie die sich auch immer verharmlost.
Nein, Morbus Berlinensis ist weder mit der Vogelgrippe noch mit der
Schweinepest zu vergleichen, das nicht. Eher schon mit Rinderwahn. Oder
Größenwahn, oder einer Kombination aus beidem. Menschliches Leid und Elend
eben, aber Genaues weiß man halt nicht.
Springen wir von der Intensivstation der Arroganz zurück ins tägliche Leben.
Michael Sommer, ehemals Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei in
Westberlin, jetzt in der SPD und DGB Vorsitzender, hat auf einen Sitz im
Parteivorstand der Sozen verzichtet, um „den DGB und die
Einheitsgewerkschaft nicht zu beschädigen“. Eine edle Einstellung, die man
grundsätzlich nur unterstützen kann. Obwohl, wäre dem Michael diese
Erkenntnis schon früher gekommen, hätte er konsequenterweise auf den
DGB-Vorsitz verzichten müssen. Ob er die SPD nun beschädigt oder andere das
tun, ist sowieso egal.
Zum Schluß der Kalauer des Monats. Frau Knobloch (auch kein Druckfehler),
Charlotte, vormals Chefin im Zentralrat der Juden, kritisiert in einem
offenen Brief den Abgeordneten der Piratenpartei Claus-Brunner, weil er ein
Palästinensertuch trägt und bezichtigt ihn deswegen einer „anti-jüdischen
Gesinnung“ und der „Sympathie für Gewalttätigkeit“. Mensch Lottchen, da
haben wir aber diesmal ein bißchen tief in die Mottenkiste der Haut-Couture
gegriffen oder gar gleich völlig daneben.
Wäre das alles nicht so lächerlich, könnte man meinen, zu viel freie Zeit
ohne sinnvolle Beschäftigung lassen in manchen Köpfen die Flausen
unverhältnismäßig wachsen. Oder verkümmern. Je nachdem.
November 2011
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