[= Auf
der Suche nach der verlorenen Zukunft, Bd. 5], trafo verlag 1997, 216 S.,
ISBN 3-930412-76-4, EUR 14,80
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In dieser Gegenwart, in der
wir alle rast- und ratlos funktionieren – obwohl wir doch wissen, daß es nicht
weitergehen wird, wenn es so weitergeht, wie es jetzt geht – ist das Motto ‘Auf
der Suche nach der verlorenen Zukunft’ eine Herausforderung, innezuhalten und zu
suchen, wie es gehen könnte. Ist die Zukunft wirklich verloren? Für alle? Wenn
nein, warum nicht? – Wenn ja, wann und warum? Wo sind die Orte, an denen das
Suchen lohnt?
Keine Zukunft ohne Vergangenheit.
Gegenstand der Vergangenheitsbetrachtung sind Frauen aus der DDR, ihre
Lebensweisen und die Lebensansprüche und Zukunftsvisionen, die sie entwickelten.
Die Wahrheit, daß Frauenexistenz – und Kinderexistenz – untrügliche Indikatoren
für Beschaffenheit, Leistungen, Verfehlungen und damit für den Gestaltungsbedarf
einer Gesellschaft sind, gewinnt an Boden. Langsam zwar, aber immerhin. Und sie
birgt Spreng kraft, brachte die Wende doch neben einigem Gewinn für viele Frauen
auch – durch Dequalifikation, Arbeitslosigkeit und Gesetzgebung –
einschneidende Verluste im sozialen und kulturellen Alltag und Rückkehr,
präziser: Rückwurf in tradierte Frauenrollen. Das hatte und hat noch
Auswirkungen auf die Kinder. Viele Frauen änderten ihre Haltung: Einer ersten
euphorischen Bereitschaft, alles ‘Alte’ aufzugeben und sich ganz in den Dienst
des ‘Neuen’ zu stellen, folgten zunächst wachsende Skepsis und allmählich auch
Eigen-Sinn, Besinnung auf Eigenes.
Als Autorinnen zu Wort kommen eine Sozial-, eine Literatur- und eine
Theaterwissenschaftlerin. Sie gehören – hinsichtlich Generation, Qualifikation,
Lebensweise und früherer beruflicher Stellung – zu den Frauen, die deutsche
Nachkriegsgeschichte in der DDR mit-erlebt, mit-erlitten, mit-gemacht haben und
die nun – im gesellschaftlichen Spannungsfeld von Verteufelung und Verklärung
der damaligen Lebensverhältnisse – versuchen, sich über die eigene Vergangenheit
klarzuwerden, um zukunftsfähig zu sein. Für jede von ihnen ist die Suche nach
Zukunft nicht nur wissenschaftliches, sondern auch persönliches Anliegen.
Ursula Schröter untersucht die offizielle Frauenpolitik der DDR; wie Frauen
sie (er)lebten und welche Lebensansprüche – bis heute nachwirkend – sie daraus
entwickelten.
Eva Kaufmann untersucht eine Reihe von Romanen und Erzählungen von
Schriftstellerinnen aus der DDR hauptsächlich unter dem Aspekt der Beziehung der
dargestellten Frauen zur Berufstätigkeit, zum Kind, zum Mann.
Renate Ullrich folgt Theaterfrauen auf der Suche nach Zukunft und untersucht
Zusammenhänge zwischen Lebenswegen, Lebensweisen, künstlerischen
Produktionsbedingungen und der Gestaltung von Frauenbildern und Bildern von
Geschlechterverhältnissen.
Trotz aller Unterschiedlichkeit der Untersuchungsfelder fanden die
Autorinnen in den alten Dokumenten, Büchern, Filmen und in den aktuellen
Gesprächen einen gemeinsamen Nenner: Die Sehnsucht von Frauen, “als ganzer
Mensch leben” zu wollen.
Aber was ist das: der ganze Mensch? Begründete Zielvorstellung?
Realisierbarer Anspruch? Bloßer Wunsch? Vision? Utopie? Oder gar Illusion?
Offensichtlich kommt es darauf an, mit welchem Inhalt dieser Begriff gefüllt ist
und in welchem historischen, gesellschaftlichen und kommunikativen Kontext er
steht.
In den Studien wird untersucht, mit welchen Inhalten diese Bedürfnisse von
Frauen in der DDR gefüllt wurden. Natürlich änderten sich im Laufe der vier
Jahrzehnte mit den Lebensbedingungen auch die Inhalte. Trotzdem gehen die
Autorinnen – außer in dem Abschnitt über die offizielle Frauenpolitik in der DDR
– nicht streng chronologisch vor. Sie wählen Ereignisse, Vorgänge, Kunstwerke
aus, in denen das Bedürfnis besonders prägnant geäußert wurde.
In den zuständigen Medien und Wissenschaften der DDR gab es bekanntlich
wenig öffentliche Verständigung über die wirklichen Lebensverhältnisse. Um so
mehr und im Laufe der Jahre zunehmend waren die Künste – besonders auch Werke
von und über Frauen – der Ort, an dem recherchiert, kritisch bilanziert und
alternativ nachgedacht wurde. Deshalb war die Rede von der ‘Ersatzfunktion’ der
Künste. Begegnet man solchen Kunstwerken heute, unter den neuen, radikal
veränderten Bedingungen, so wird deutlich, daß sie sich in einer Ersatzfunktion
tatsächlich nicht erschöpften. In den besten Werken war der Impuls spürbar und
wirksam, an einem menschenwürdigen und menschlichen Gemeinwesen mitbauen zu
wollen.
In einem Gespräch (1991) resümierte die Schauspielerin Petra Kelling ihre
Auffassung von ‘als ganzer Mensch leben’: “Mein Traum war, ist, Rosa Luxemburg
zu spielen. Ich bestaune die Fähigkeit der Luxemburg, die politische
Leidenschaft nicht zu trennen von den schicken Handschuhen, die man haben, von
dem Blatt, das man riechen, von dem Menschen, den man lieben möchte. Also den
Versuch, das ganze Leben zusammenzukriegen, was das Ungewöhnliche an Frauen ist.
Vor dieser Kraft hat fast jeder Mann Angst und jede Gesellschaft. Drum mußte man
die Luxemburg erschlagen. Und sie wird immer wieder erschlagen.”
Die Autorinnen wollen mit ihren Studien darauf aufmerksam machen, daß in
gelebten Frauen-Leben und deren künstlerischen Reflexionen belangvolle
Erfahrungen vorliegen und daß es – um der Zukunft willen – lohnt, nach ihnen zu
suchen.
Inhaltverzeichnis:
Vorwort
Die Frau und der Sozialismus –
und was daraus geworden ist
Ursula Schröter
Erzählend die Welt anschauen –
die kleine wie die große
Eva Kaufmann
Lebensentwürfe.
Schauspielerinnen und ihre Rollen
Renate Ullrich