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Katharina Rothärmel

 

Die Trommlerin der Lützower.

Eleonore Prochaska (1785-1813)

 

trafo verlagsgruppe 2007, 144 S., ISBN 3-89626-624-1, 11,80 EUR

 

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Zum Inhalt

 

Deutschland im Jahr 1813, das Volk steht auf, ein Sturm bricht los gegen die Napoleonische Fremdherrschaft. Major Freiherr Adolf Ludwig von Lützow formiert im Februar 1813 eine Truppe Freiwilliger,die im Rücken des Feindes operieren soll. AuchMaria Christine Eleonore Prochaska, Soldatentochter aus Potsdam und Patriotin, schließt sich – in Männerkleidern – den Lützowschen Schwarzen Jägern des ersten Bataillions an. Als Trommler August Renz kämpft sie auch bei der Erstürmung der feindlichen Stellungen in der Schlachtan der Göhrde mit (20 Kilometer westlich von Dannenberg/Elbe) und wird dabei schwer verwundet. Am 5. Oktober 1813 erliegt das tapfere Mädchen in Dannenberg seinen Verletzungen. Zwei Tage später wird Eleonore bestattet. Mit drei Gewehrsalven nehmen die Kameraden Abschied von der Mitkämpferin. Die Erzählung folgt den Spuren ihres kurzen Lebens.

 

 

 

Leseprobe

 

Eine Schar des Lützower Freicorps hat sich in Erdlöcher eingegraben. Ein Leutnant mit zwanzig jungen Jägern. Sie operieren im Rücken des Feindes. Ein versprengter Haufen von Franzosenkerlen ist in der Heide, nördlich von Dannenberg, aufgetaucht. Die anderen Schwarzen Jäger haben sich in Richtung Schwerin auf den Weg gemacht, sie sollen dort mit den regulären Truppen des Königs vereidigt werden.

Wenn es hier ruhig bleibt, soll der Leutnant mit den Seinen nachrücken. Das ist die Order.

 

Die flüchtenden Franzosen, die immer noch vom Osten her, verfolgt von den Russen, durch das deutsche Land jagen, bezahlen für den Machtrausch des Napoleon.

Der große Krieg den ER seit dem großen Sieg gegen Österreich in Italien 1797, nach seinem Staatstreich 1799, nach seiner Ausrufung zum Kaiser der Franzosen im Jahre 1804 gegen die Völker Europas führt, hat ihn bis nach dem weiten, fernen Russland gebracht.

Dies arme, vielzählige Volk hat mit seiner Wildheit, gepaart mit patriotischer Leidenschaft, den Kampf gegen IHN siegreich aufgenommen. Der weiße, frostklirrende, hungerreiche Winter ist zum Verbündeten des sich aufbäumenden Landes geworden. Als die Kunde nach Preußen dringt, von dem brennenden Moskau, von den Russen selbst angezündet und den westwärts fliehenden Franzosen, den Truppen voran der große ER, flüchtend in der Dunkelheit, von Gasthof zu Gasthof jagend, seine abgerissenen, hungernden, frierenden Soldaten in Panik zurücklassend, da kommt Mut auf in den deutschen Landen, Dörfern wie Städten, Bürgern wie Bauern, Handwerkern wie Studenten, das sie Trennende zu überwinden und die Befreiung vom fremden Joch in die eigenen Hände zu nehmen. So ihrem König zeigend, was die Not der Stunde gebührt. Jede Art von Waffen wird zusammengetragen. Jagdflinten und Pistolen, Haken und Knüppel. Die Kinder tragen Steine zusammen als Wurfgeschoss. Von Berlin bis zur Elbe und nach Schlesien ragen die Lärmstangen.

Als Friedrich der Dritte, König von Preußen, sich endlich am 3. Februar 1813 entschließt einen Aufruf an sein Volk zu richten, in dem er zum Kampf gegen Napoleon auffordert, da wandelt sich die bis dahin geheime Aktivität in überschäumende Begeisterung. Freude bei Hoch und Niedrig, dass der König endlich eins ist mit seinen Untertanen.

Jeder gibt, was er irgend entbehren kann, häufig ist es mehr. Wer nicht selbst zu den Waffen greift, spendet Waffen, Geld, Pferde.

Schneider nähen die Litewka für die Freiwilligen umsonst.

Frauen lassen sich die Haare abschneiden, den Erlös beim Barbier spenden sie den Freiwilligen.

Kirchenväter stiften Altarsilber und das Geld aus der gottesdienstlichen Kollekte. Wer nur seinen Ehering als Wert besitzt, zieht ihn freudig vom Finger und spendet ihn. Viele goldene und silberne Ringe sind eingeschmolzen und in todbringende Kugeln verwandelt worden.

 

Einen winzigen Einblick in dieses große Aufbegehren soll uns ein Vorfall vor fast 200 Jahren an einem Hügel in der Heide um Dannenberg geben. Kehren wir zum Leutnant und seinen Jägern zurück. Er überdenkt seine Lage:

»Bei dem gestrigen Zusammenprall mit einem Franzosenhaufen habe ich zwei Leute verloren. Im Morgengrauen haben wir sie in der Herde beerdigt, wie wir es auf den Tag genau vor vier Wochen mit unserem Körner bei Gadebusch gemacht haben.«

Auch Russen gehören zu der Schar. Auf dem Weg von Gadebusch in die Heide haben sie sich den Lützowern angeschlossen. Sie eskortierten einen Trupp Gefangener, zerlumpt und unsauber, ohne Waffen, mit leerem Blick, wurden sie zu einem Sammelpunkt für Gefangene getrieben, Soldaten aller Waffengattungen verschiedener Nationen. Franzosen, Italiener und Spanier. Es war ihnen anzusehen, dass sie weit herkamen, aus einem Land, in das sie nicht hineingehörten.

Sie waren auf das Klima nicht vorbereitet, nicht auf reißende Flüsse, nicht auf tiefe, unwägbare Wälder. Erfrorene Gliedmaßen, erfrorene Nasen und Ohren zeigten jedem, der es nicht schon wusste, die kommen aus dem weiten Russland. Einige hatten Schafspelze um, die meisten von ihnen hatten sich alte Teppiche, zerrissene Pferdedecken oder einfache Tücher umgehängt. Bei vielen war das Gesicht mit Leinen verbunden, vom Hals zur Stirne, die Kälte im fremden Land hat ihnen die Haut zerstört. Es ist nicht zu erkennen gewesen, wer Offizier, wer einfacher Soldat ist.

Als elende Opfer eines wahnsinnigen kleinen Mannes zogen sie Mitleid erregend durch fremdes Land. Am Sammelplatz brachen die meisten zusammen. Das Stück Brot und den Schluck Wasser, der ihnen von hilfreichen Frauen gereicht wurde, rissen sie den Gebern gierig aus der Hand. Hilflos und zerstört wie sie waren, brachte es kaum eine Frau oder ein Mädchen fertig, sie in ihrem Elend allein zu lassen. Wer hatte nicht einen Bruder, Sohn oder Gatten im Feld. Dennoch war jedes Dorf, jede Stadt, durch die der Elendzug führte, froh ihn schnell wieder loszuwerden. Außer ihrem Elend brachten sie auch Seuchen in das Land. Man versagte ihnen die Stärkung nicht, um sie zum Weitermarsch zu befähigen. Die Kinder auf der Straße sangen gegen die Elenden:

 

Ritter ohne Schwert, Reiter ohne Pferd,

Flüchtling ohne Schuh, ohne Rast und Ruh.

So hat Gott sie geschlagen, mit Mann und Ross und Wagen.

 

Die sich mühsam weiterschleppenden Gefangenen wurden so von den schrecklichen Erinnerungen, die sie an das Land, das sie erobern sollten, auf Befehl des großen ER, in Panik versetzt und torkelten von Angst gepeinigt, schneller voran. Wenn ihnen der höhnische Ruf der Kinder in den Rücken stach: »Die Kosaken sind da!«, geriet der Zug der Elenden in zuckende, angstvolle Bewegung und wilde Schreie der Angst aus durstigen Kehlen erfüllte die Luft.

Die Erinnerungen und Bilder wegstoßend, kräftigt sich der Leutnant:

»Wenn bis heute Abend alles ruhig bleibt, hier am Hügel, breche ich nachts mit meinen Leuten auf in Richtung Schwerin. Besser wir haben den Feind vor uns, als im Rücken. Zwei Leute verloren und nichts gewonnen. Ich werde zum Aufbruch rufen. Bis zur Nacht werde ich nicht warten.«

Er ruft in Richtung der Jäger, die sich in Gräben eingerichtet haben: »Renz trommle zum Aufbruch.«

Der Jäger Renz kommt aus seinem Erdloch und lässt dumpfe, starke Schläge auf seine Trommel niedergehen. Gleichsam als Antwort grollt unerwarteter Geschützdonner über den Hügel. Plötzlich eine starke Detonation, Erde stiebt hoch. Der peitschende Schuss einer Kanonenkugel bildet einen Einschlagstrichter. Der Trommler bricht zusammen. Ein Splitter der Kanonenkugel hat ihn verwundet.

Die übrigen Jäger erheben sich blitzartig aus ihren schützenden Erdlöchern.

»Jäger Arnold hierher, unser Renz ist verwundet, er faselt was von einem Mädchen, fass an, er verblutet mir.«

Behutsam legen sie den Trommler Renz in eine Kuhle am unteren Hang: »Wenn Renz zu sich kommt, bringst du ihn ins Dorf zum Schmied. Geh hinten rum, es braucht euch keiner zu sehen. Mach schon, ich muss zu den anderen.«

Arnold sieht mit angstgeweiteten Augen auf seinen Leutnant:

»Geben Sie mir den Befehl die Trommel zu nehmen und die Kameraden anzufeuern, der Renz hat es mir gezeigt. Er hat immer gesagt, wenn ich ausfalle, nimmst du die Trommel.«

»Mach schon, ich muss weiter.«

Arnold will nicht allein bleiben mit dem reglos daliegenden Renz. Schaurige Angst hat ihn gepackt: Allein mit einem leblosen Körper.

»Herr Leutnant, befehlen Sie mich an die Trommel!«

Wortlos folgt der Leutnant seinen Leuten hügelwärts, zurücklassend den verwundeten Trommler und den ängstlichen Arnold. Die Angst überwindend, allein auf sich gestellt, beugt er sich zu dem liegenden Renz, legt sein Ohr auf die Brust des Kameraden, ob noch Leben in ihm sei, er öffnet ihm vorsichtig die Hemdbluse und erschrickt.

»Großer Gott, August Renz ist eine Frau.«

Blut sickert unaufhörlich, gleichmäßig fließend aus der Wunde im Oberschenkel in den Sand. Arnold erbricht sich zu den Füßen des Kameraden.

»Sie muss verbunden werden, womit? Ich kann ihr nicht das Hemd von der Brust reißen, ich nicht. Ich hole den Schmied, der Schmied muss helfen.«

Arnold erhebt sich, dann hält er inne. Er zieht seinen Uniformrock aus und sein Hemd über den Kopf. Mit zitternden Händen reißt er aus dem Rückenteil seines Hemdes zwei Streifen, hockt sich neben die Verwundete, entblößt ihr Bein und verbindet vorsichtig die Wunde. Renz stöhnt auf vor Schmerzen und beginnt am ganzen Leib zu zittern:

»Arnold es brennt, mein Bein brennt wie Feuer. Gib mir zu trinken.«