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Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät, Band 81 (2005)
Akademien in Zeiten des Umbruchs

trafo verlag 2005, ISBN (10), 3-89626-521-0, ISBN (13) 978-3-89626-521-0, 179 S., 17,80 EUR

 

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Inhaltsverzeichnis

Wöltge, Herbert: Einführende Bemerkungen

Laitko, Hubert: Die Akademie im gesellschaftlichen Wandel. Historische Zäsuren als Prüfsteine akademischer Identität

Hörz, Herbert: Erlebte und gestaltete Akademiereform – die Leibniz-Akademie in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts

Klar, Richard: Zur Entstehung und zum Verständnis von Art. 38 Abs. 2 des Einigungsvertrages

Albach, Horst: Mergers und Start-Ups. Über eine gescheiterte Fusion

Walther, Peter Th.: Kleine Fehlerdiskussion. Eine moderat-polemische und essayistische Skizze mit Fakten, Interpretationen und Anregungen zu einer künftigen Studie zur Entwicklung der Akademien der Wissenschaften in Berlin 1989–1993

Meyer, Hansgünter: Was heißt und zu welchem Ende betreibt man die Zweite Wissenschaftskultur?

Klinkmann, Horst: Schlussbemerkungen

 

Vorwort

Im Rahmen ihres mit Fördermitteln des Landes Berlin gestützten Projektes Erkenntnisgewinn durch Interdisziplinarität führte die Leibniz-Sozietät am 27. Mai 2005 ein wissenschaftliches Kolloquium durch. Anlass war der 70. Geburtstag ihres Mitglieds Horst Klinkmann. Das thematisch zweigeteilte Kolloquium würdigte die Verdienste des Jubilars sowohl als Präsident der AdW der DDR mit dem Thema Akademien in Zeiten des Umbruchs als auch den hervorragenden Wissenschaftler mit dem Thema: Künstliche Organe, moderne Medizintechnik und eine alternde Gesellschaft. Veranstaltet wurde das Kolloquium vom Kuratorium der Stiftung der Freunde der Leibniz-Sozietät und vom Präsidium der Leibniz-Sozietät.

Ort der Veranstaltung war der mit den Traditionen der Akademie verbundene historische Robert-Koch-Saal des Berliner Instituts für Mikrobiologie und Hygiene der Charite, dessen Direktor Prof. Dr. U. Göbel das zahlreich erschienene Auditorium mit der Geschichte der wissenschafts- und medizinhistorischen Stätte bekannt machte.

Die Laudatio auf den Jubilar trug Jörg Vienken, Schüler Klinkmanns und Mitglied der Leibniz-Sozietät, vor. Ein Grußwort der Mazedonischen Akademie der Wissenschaften und Künste an den Jubilar überbrachte deren Präsident Prof. Dr. Momir Polenakovic.

Der vorliegende Band der Sitzungsberichte enthält die im ersten Teil des Kolloquiums gehaltenen Beiträge des Kolloquiums von Hubert Laitko, Herbert Hörz, Richard Klar und Hansgünter Meyer. Aufgenommen wurden auch die Beiträge von Horst Albach und Peter Th. Walther, die für die Tagung avisiert waren, aber dort nicht gehalten werden konnten.

Den zweiten Teil des Festkolloquiums zum Thema Künstliche Organe, moderne Medizintechnik und eine alternde Gesellschaft, die hier nicht abgedruckt werden, leitete Günther von Sengbusch aus Hamburg mit einer Betrachtung zum Leitspruch der Leibniz-Sozietät „theoria cum praxi" ein. Wolfgang Schutt, Donau-Universität Krems/Österreich, referierte zu einigen Erfahrungen aus systemübergreifenden F&E-Projekten von NASA und in Japan. Zum Thema künstliche Organe äußerten sich Roland Hetzer, DHZ Berlin, (Kunstherz), Jan Wojcicki, Warschau, (künstlicher Pankreas), Jörg Vienken, Bad Homburg, (künstliche Niere) und Dieter Falkenhagen, Krems, (künstliche Leber).

Für die Vorbereitung und Durchführung des Kolloquiums zeichneten im Auftrag des Kuratoriums der Freunde der Leibniz-Sozietät Heinz Kautzle-ben, Wolfgang Schutt, Jörg Vienken und Herbert Wöltge verantwortlich. Sie danken allen, die zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen haben.

 

 

Herbert Wöltge

Einleitende Bemerkungen

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Jubilar, meine Damen und Herren, verehrte Anwesende!

Die Leibniz-Sozietät macht sich das Vergnügen, über Akademien und ihre Geschichte nachzudenken. Unser Thema heißt: Akademien in Zeiten des Umbruchs.

Das Thema erhält seinen besonderen Reiz durch die zeitliche Nähe zum 70. Geburtstag unseres Mitglieds Horst Klinkmann, einem der Hauptakteure des akademischen Umbruchs der Jahre 1989/ 93. Seine Tätigkeit, vor allem in dieser Zeit, soll hier besondere Beachtung finden.

Dazu darf ich Sie im Namen des Kuratoriums der Stiftung der Freunde der Leibniz-Sozietät und des Präsidiums der Leibniz-Sozietät sehr herzlich begrüßen. Wir freuen uns über Ihr Interesse und Ihr so zahlreiches Erscheinen.

Unser Dank gilt dem gastgebenden Institut für Mikrobiologie und Hygiene der Charite, das uns die Möglichkeit eröffnet hat, das Thema hier im historischen Robert-Koch-Hörsaal zu erörtern, an einer wissenschafts- und medizinhistorischen Stätte, in einem anspruchsvollen Umfeld bester Tradition deutscher Wissenschaftsgeschichte. Robert Koch und Otto Warburg, um nur zwei Namen bedeutender Gelehrter zu nennen, waren Mitglieder unserer Akademie und beide Nobelpreisträger für Medizin. Sie haben in diesem Hause gewirkt. Wir freuen uns, dass Herr Prof. Dr. Göbel als Direktor des Instituts einleitend einige Worte zur Geschichte des Hauses an uns richten wird.

Unser Thema ist eingebettet in das umfassende Projekt der Leibniz-Sozietät Erkenntnisgewinn durch Interdisziplinarität, ein Projekt, das aktuelle Bezüge der Verantwortung und Rolle von Wissenschaftsakademien in der Gegenwart anspricht. Dieses Projekt wird vom Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Berlin mit Fördermitteln unterstützt, wofür wir dem Senator und seiner damit befassten Verwaltung unseren Dank aussprechen.

Das Generalthema Akademien in Zeiten des Umbruchs ist ein weites Feld der historischen Betrachtung. Um einer beliebigen Ausuferung vorzubeugen, werden wir uns konzentrieren auf das Geschehen um die Gelehrtensozietät der AdW der DDR und ihren Übergang in die Leibniz-Sozietät in den Jahren 1989/ 1993. Um eine Einführung allgemeinerer akademiehistorischer Art haben wir Hubert Laitko gebeten, der über Die Akademie im gesellschaftlichen Wandel: Historische Zäsuren als Prüfsteine akademischer Identität sprechen wird.

Es sei einleitend betont, dass unsere Konferenz auf wissenschaftliche Betrachtung zielt und keine politische Programmatik bedienen will, obwohl das Thema dazu genügend Anreize und Anlässe böte. E geht uns heute und der Sozietät überhaupt um die wissenschaftliche Meinungsbildung zu den Ereignissen der frühen 90er Jahre, nicht um den Versuch, die politische öffentliche Willensbildung zu den damaligen Entwicklungen anhand der Fakten oder neuer wissenschaftlicher Befunde anders zu konfigurieren. Die politische Willensbildung zu unserem Thema ist seit Jahren abgeschlossen, sie hat sich längst in politischen Behauptungs- und Glaubenssätzen in Politik, Medien und Öffentlichkeit versteinert. Wir gehen ganz nüchtern davon aus, dass - wie so oft - die einmal vorgeformten politischen Meinungen und Haltungen unerschütterlich und vollkommen resistent gegen möglicherweise anders lautende Fakten oder Erkenntnisse sein werden. Und so müssen wir ebenso nüchtern konstatieren, dass das, was von unserem damals entstandenen Problem heute noch existiert und unbewältigt ist, im politischen und wissenschaftspolitischen Denken der Jetztzeit nicht mehr vorkommt. Für unser Problem und seine Lösung gibt es kein öffentliches Bedürfnis mehr. Die heutige Gesellschaft hat keinen öffentlichen Sensor mehr, der darauf anspricht. Das Segment ist gelöscht und in die Geschichte verwiesen.

Dort allerdings, in der Welt der Archive und Erinnerungen, lebt es weiter, und dort werden wir es in aller Sachlichkeit aufsuchen und immer wieder bestrebt sein, es angemessen darzustellen und in den historischen Kontext einzuordnen.

Leider ist die Lage dafür zur Zeit nicht gerade sehr günstig. Wir bedauern, dass Forschungen zur Geschichte der Akademien in Deutschland und zur Wissenschaftsgeschichte überhaupt rückläufig sind. Wir bedauern, dass die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, kaum dass das 300jährige Jubiläum der Leibnizschen Akademie im Jahre 2000 vorüber war, ihre Arbeitsgruppe Akademieforschung ersatzlos gestrichen hat. An der hauptstädtischen Akademie mit nationalem Anspruch gibt es keine Forschungen mehr zur eigenen und zur fremden Akademiegeschichte.

Überflüssig zu sagen, dass speziell über die Akademiegeschichte der Jahre 1990/92 in der etablierten Wissenschaftswelt nicht nennenswert gearbeitet wird, nicht nur nicht an der BBAW. Hinzuweisen ist aber darauf, dass das Thema in „Grauzonen" der wissenschaftlichen Arbeit, außerhalb der offiziellen Forschung, vor allem in der so genannten zweiten Wissenschaftskultur, seinen Widerhall gefunden hat. Darüber soll hier nicht berichtet werden. Die Leibniz-Sozietät hat sich von Anbeginn an mit diesem Thema befasst1. Man darf es ihr hoch anrechnen, dass sie auch weiterhin versucht, mit ihren bescheidenen Mitteln einen Mindeststandard der Beschäftigung mit diesem Gegenstand in Deutschland aufrecht zu halten.

Den zweiten Abschnitt unserer Vormittagsveranstaltung haben wir Debatte genannt, weil die Beiträge hier einen etwas anderen Charakter tragen werden als die vorherigen. Sie betreffen Ereignisse und Themen nach dem Herbst 1989. Diese Beiträge sind mehr angesiedelt zwischen Zeitzeugenaussagen und erster historischer Verdichtung. Ihrem Charakter nach sollten es aber auch Quellenbeiträge sein, auf die man sich bei späterer Betrachtung stützen kann, mit geordneten Fakten und ersten Annäherungen an Wertungen. Sie reihen sich ein in eine Vielzahl von Beiträgen der unterschiedlichsten Art, die zu diesem Zeitraum und zu dieser Thematik bereits erschienen sind. In vielen hat sich die tiefe gesellschaftliche Veränderung der Jahre 1989/92 auch als Einschnitt in die persönliche Entwicklung niedergeschlagen, sie enthalten Protest, politische Forderungen, Enttäuschung, demonstrative Ohnmacht, sie sind oft genug Reaktion auf Abwicklung, Empörung, Kränkung und Bruch der Lebenslinien - also im wesentlichen politische und moralische Reaktionen. Wir haben hier beobachten können, daß die Zeit der bloßen Enthüllung und Beschreibung einzelner für erinnerungswert gehaltener Vorgänge vorbei ist und der Übergang zu einer sachlich-historischen Sicht vollzogen wird.

Für die Akademiegeschichte gibt es hier vieles an Material, das einer weiteren Verallgemeinerung dienlich sein kann. Sichtbar ist aber auch, dass sich nur wenige Beiträge oder Aufzeichnungen mit den Vorgängen um die Gelehrtensozietät der AdW der DDR befassen. Deshalb wird man hier unser Bestreben verstehen, nach unseren Möglichkeiten Quellen und Erkenntnisse zu sammeln und zu sichern.

Wer zu den Quellen geht, findet diese häufig genug in dem Zustand, den unser Mitglied Winfried Engler in seinem Vortrag über Montesquieu erst kürzlich als ungeordneter Tatsachenhaufen annotiert hat. Dieser Haufen ist zudem unter das Verdikt der bundesrepublikanischen Archivgesetze geraten und somit weitgehend unter Verschluss. Der Zeithistoriker hilft sich hier üblicherweise mit Erinnerungsberichten und Dokumenten aus Privatarchiven. Genau dieses liegt hier an, wir sind dankbar, wenn Akteure der damaligen Veränderungen sich bereit finden, in unserer heutigen Veranstaltung beides zur Kenntnis zu geben.

Zur Einordnung des Themas und für das Verständnis des damaligen Geschehens sind hier vielleicht einige wenige Erläuterungen zu den Jahren 1989/93 hilfreich. Die basisdemokratische Entwicklung im Lande hatte auch um die Akademie als Gesamtheit und auch um die Gelehrtengesellschaft keinen Bogen gemacht. Es war auch hier, wie überall, eine kurze Zeit der demokratischen Illusion. Darüber gibt es eine wahre Flut von Ausführungen, auf die soeben hingewiesen wurde. Unser Augenmerk gilt hier auch nicht so sehr der Entwicklung in den einzelnen Bereichen der Akademie und auch nicht ihrer basisdemokratischen Bewegung, von den Institutsräten bis hin zum Runden Tisch. Wir wenden uns heute mehr den Bemühungen vorwiegend auf der Präsidentenebene zu, die daraufgerichtet waren, die Akademie - ob in ihrer Gesamtheit oder geteilt in eine Gelehrtengesellschaft und eine Forschungsorganisation - in einer sich verändernden gesellschaftlichen Umwelt zu erhalten. Die wissenschaftliche Erfassung der Beschreibung dieser Ebene und die Verwertung der zugänglichen Quellen dazu steht noch am Anfang.

Hinzuweisen wäre zunächst darauf, dass dies auch die Zeit der Reformversuche der Akademie aus eigener Kraft war. Diese Versuche endeten für die Institute mit dem Vollzug der Bestimmungen von Artikel 38 Einigungsvertrag, also mit ihrer Auflösung, und für die Gelehrtengesellschaft mit der obrigkeitlichen Verhinderung des Vollzugs dieses Artikels.

Zu den letzten Aktivitäten der vom Einigungsvertrag als Gelehrtensozietät bezeichneten Gelehrtengesellschaft der AdW gehörte die stark umstrittene Selbst-Evaluierung, die, vom Plenum Anfang 1991 beschlossen, sich bis ins Frühjahr 1992 hinzog. Sie sollte Reformansätze schaffen, mit denen personelle Konformität zu den neuen Verhältnissen hergestellt werden konnte. Dem waren Bemühungen von Plenum und Klassen vorangegangen, die neue Lage in ihrer Bedeutung für die Akademie zu erörtern, notwendige Veränderungen zu initiieren, ein neues Statut und neue Verfahrensregelungen auszuarbeiten und zur Geltung zu bringen. Daran beteiligten sich viele Mitglieder und haben in den verschiedensten Kommissionen und Arbeitsgruppen mitgewirkt. Mit dem Geschäftsführenden Präsidium wurde ein neues Führungsgremium geschaffen, das bis zuletzt - im Juni 1992 - aktiv war. Darüber hat auch der Jubilar publiziert.

Weitgehend unbekannt und unaufgeschrieben - das ist eine zweite Linie - sind die Verhandlungen, die im Namen und für die Weiterführung der Gelehrtengesellschaft sowohl auf Bundesebene als auch auf der Ebene der Allianz der Wissenschaftsorganisationen geführt wurden. Das war meist die Präsidentenebene. Verhandlungen unterschiedlichsten Charakters von der bloßen Kontaktaufnahme bis zu vertraglichen Vereinbarungen mit altbundesdeutschen Partnern gab es natürlich auch auf allen Ebenen, von den Forschungsbereichen bis in die Institute und Arbeitsgruppen und zu einzelnen Wissenschaftlern. Das hier entstandene Beziehungsgeflecht wurde bisher nicht näher betrachtet und dürfte auf seine Erschließung und wissenschaftliche Beschreibung noch warten. Die Verhandlungen auf der Präsidentenebene hatten unter Präsident Werner Scheler begonnen und wurden von Klinkmann nach seiner Amtsübernahme fortgeführt.

Hinzuweisen wäre hier auch auf den schon gelegentlich zitierten deutlichen Unterschied in der Zielrichtung dieser Verhandlungen und Gespräche vor und nach der politischen Entscheidung der Bundesregierung, von einer wie auch immer gearteten Fusion/Konföderation/jedenfalls gleichberechtigten Vereinigung zu einer auf Beitritt/Anschluss/Einpassung in die Altbundesrepublik gerichteten politischen Lösung überzugehen. Dieser deutlich erkennbare Bruch wurde für die Akademieverhandlungen zwischen Januar und Ende Februar 1990 sichtbar, ohne daß die Tragweite dieses Paradigmenwechsels damals sofort ins Bewußtsein kam, etwa bei den Verhandlungen von Scheler mit den Präsidenten der Allianz-Organisationen, so der MPG oder der Fraunhofer-Gesellschaft Dezember 1989/Februar 1990, die anfangs von Scheler „auf gleicher Augenhöhe" geführt werden konnten. Aber schon Wochen vor den Volkskammer-Wahlen vom 18. März 1990 gab es keine gleichberechtigten Verhandlungen mehr. Die Weichen waren anders und endgültig gestellt. Für die Gelehrtengesellschaft ergab sich daraus eine neue Situation.

Die Ausarbeitung des Einigungsvertrages begann Mitte 1990. In Artikel 38 (im ersten Entwurf noch Art. 30) sollte geregelt werden, wie die DDR-Wissenschaft als Subjekt selbständigen Handelns und als eigenständige Struktur in der Bundesrepublik zu erhalten oder auszuschließen war. Wir sind Herrn Prof. Dr. Richard Klar dankbar, dass er heute zur Entstehung und zum Verständnis von Artikel 38 Einigungsvertrag aus der Sicht der Akademie sprechen wird, das ist, soweit wir sehen können, erstmals ein Bericht zu dieser Sache, aus eigenem Erleben und eigenen Erfahrungen. Richard Klar war in der hier behandelten Zeit Mitarbeiter beim Präsidenten und bis Anfang 1992 in der Gelehrtengesellschaft im Arbeitsstab von Horst Klinkmann. Er hat die Bemühungen des Präsidenten juristisch maßgeblich vorgeformt und unterstützt, in den zähen Verhandlungen um Formulierungen möglichst günstige Ausgangspositionen und Ergebnisse zu gewinnen. Aus seinen Ausführungen dürfte hervorgehen, warum die in 38(2) formulierte Sonderregelung für die Gelehrtensozietät den Landespolitikern lange Zeit wissenschaftspolitisches Kopfzerbrechen bereitete, so dass die schon eher beabsichtigte Liquidierung der Gelehrtensozietät erst ab Anfang 1991 mit dem damaligen Berliner Wissenschaftssenator Manfred Erhardt endgültig in Angriff genommen wurde.

Dazu muss ergänzt werden, dass informelle Gespräche beider Seiten zwischen Spitzen der Wissenschaft und ihren Organisationen und Beauftragten schon viel früher stattfanden. Spätestens im November 1989, als die Auseinandersetzungen im Plenum und an den Instituten um eine Neuorientierung in der Akademie gerade erst begonnen hatten, gab es vorsichtige Gespräche auf den verschiedensten Ebenen. Einer der ersten Sondierer war Prof. Dr. Hansgünter Meyer, damals am Akademie-Institut für Organisation, Theorie und Geschichte der Wissenschaft, ein Institut, das auch die Heimat unseres heutigen Hauptredners Hubert Laitko war und das unter Leitung von Günter Kröber zahlreiche, bis heute interessante Kontakte mit bundesdeutschen Wissenschaftlern und Institutionen unterhielt. Wir freuen uns, dass Hansgünter Meyer heute mit einem Beitrag vertreten sein wird, allerdings nicht zu diesem Thema, sondern zu einem Nachfolge-Problem, das ihn als Soziologen und Vorsitzenden des Vereins Wissenschaftssoziologie und -Statistik (WiSOS) sehr interessiert. Auf sein Thema werde ich gleich zu sprechen kommen.

Gesprächspartner auf Bundesebene waren im November 1989 vor allem Abgesandte des Wissenschaftsrates. Dieser hatte schon zeitig verschiedene Erkunder zur Feststellung der Lage ausgeschickt, an der Spitze Dieter Simon als sein damaliger Vorsitzender. Vermutlich ging es nicht nur darum, sich eine Vorstellung von der Lage und der Potenz der DDR-Wissenschaft zu machen, die dem Wissenschaftsrat weitgehend unbekannt war, sondern mehr um Positionierungen für strategisch aussichtsreiche Überlegungen im Rahmen der sich abzeichnenden und in hohem Tempo verändernden Gesamtentwicklung. Die Suche nach besonders wertvollen, zu sichernden Bestandteilen der DDR-Wissenschaft ist hier nicht gemeint, sie erfolgte bekanntlich unter durchaus partikularen Interessen der großen Wissenschaftsorganisationen der Allianz und später auch der Länder. Hier aber ging es um die Positionierung auf Bundesebene.

Von DDR-Gesprächspartnern haben sich bisher nur Klinkmann und Klix dazu geäußert, sehr spärlich und nicht zitierfähig. Andere haben sich bisher nicht geäußert, ich bin aber sicher, sie würden sich äußern, wenn man sie als Zeitzeugen befragte. Die Quellen sind also noch unerschlossen und erst recht nicht wissenschaftlich aufbereitet. Diese Phase fand einen ersten Abschluss in dem Kamingespräch Anfang Juli 1990 beim damaligen Bundeswissenschaftsminister Riesenhuber und DDR-Wissenschaftsminister Terpe, an dem Horst Klinkmann, Siegfried Nowak, Gerhard Merkel, Manfred Bierwisch, Gerhard Montag und weitere Akademiemitglieder teilgenommen haben, und dann in den 12 Empfehlungen des Wissenschaftsrates ebenfalls vom Juli 1990.

Danach begannen sich die Wege von Gelehrtengesellschaft und Instituten endgültig zu trennen. Der Präsident stand vor der nicht mehr lösbaren Aufgabe, für beide Teile annehmbare Überlebensmöglichkeiten zu erstreiten. Das Konzept einer eigenen Forschungsorganisation war längst vom Tisch, das Forschungspotential unter den bundesdeutschen Interessenten aufgeteilt und in voller Auflösung, nur durch einige sozialpolitische Klammern zusammengehalten.

Nachdem auch fest stand, dass nur die Gelehrtensozietät überleben sollte, schoben sich nun die landespolitischen Aspekte stärker in das Blickfeld - für Akademien waren, entsprechend der föderalen Verfassung, die Länder zuständig. Für den später aktuell gewordenen Gedanken einer Nationalakademie, den man hätte auf eine weiter existierende oder umfunktionierte AdW anwenden könne, gab es weder eine politische Basis noch eine Verfassungsgrundlage. Hier, auf der Länderebene in Berlin, ruhten die Hoffnungen für kurze Zeit auf konzeptionellen Überlegungen zu einer Berliner Akademie als Gemeinsamkeit der beiden in Berlin existierenden Akademien, der AdW der DDR und der Westberliner Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Das war die Linie der Gespräche der Präsidenten Horst Klinkmann und Horst Albach. Sie hielt nicht lange vor. Die Hoffnung auf eine etwaige Signalwirkung einer Akademie der Einheit für den Gesamtprozess der Wissenschaftsvereinigung war eine der letzten großen Illusion, der sich auch unser Jubilar eine Zeit lang, wenngleich immer halbherziger, hingab. Mit dem Beginn der Tätigkeit einer von der Berliner Senatsverwaltung zusammengestellten und von Senatorin Barbara Riedmüller-Seel (SPD) Ende 1990 einberufenen Planungsgruppe für eine neue Akademie, die im Februar 1991 unter Senator Manfred Erhardt (CDU) ihre Arbeit aufnahm, war dieser Ansatz grundsätzlich erloschen. Wie wir heute wissen, war in den Berliner Parlamenten und in den Amtsstuben des Senats bereits vorher der Stab über die Gelehrtensozietät gebrochen.

Erhardt profitierte vom Meinungswandel in der Berliner Wissenschaftsverwaltung, die noch Mitte 1990 die Bildung einer Akademie der Einheit nicht verworfen hatte, aber seit Herbst 1990 deutlich auf Liquidationskurs umgeschwenkt war und die Beschlüsse der Berliner Parlamente zur Auflösung der AdW vorbereitet hatte. Mit der Bildung einer CDU-Regierung in Berlin nach der Wahl im Dezember 1990 war der Weg dazu endgültig frei.

Der neue Senator wollte aber mehr als nur die bei Amtsantritt vorgefundene Linie des Landes Berlin zu vollstrecken. Er verkörperte zugleich den Übergang von einer regionalen zum Versuch einer nationalen Lösung auf Basis eines Landes. Die hier fehlende verfassungsrechtliche Grandlage sollte mit der Gründung der BBAW durch eine De-facto-Lösung erreicht werden. Das ist bis heute Vision geblieben. Der Föderalismus war auch hier stärker und ist es bis heute.

Horst Albach, der heute in Bonn lebt, an den wir uns mit einer Anfrage gewandt hatten, hat sehr bedauert, dass er heute hier nicht anwesend sein kann. In Vorbereitung dieser Tagung hatte er seine Bereitschaft zur Mitwirkung signalisiert und geschrieben: „Ich wollte ganz persönlich über die Gespräche über die Errichtung einer gemeinsamen Akademie sprechen, über das Zustandekommen des Gesetzentwurfs für eine solche Akademie, der ja von Herrn Klinkmann auch in seiner Akademie beraten worden war...". Diesen Beitrag wird er aber, so hoffen wir sehr, für die vorgesehene Publikation zur Verfügung stellen2.  Wie Horst Klinkmann scheiterte auch Albach hier an der Haltung der Landespolitiker, an der Unterbindungspolitik von Stadtverordnetenversammlung und Abgeordnetenhaus. Im Hintergrund dieser Szene gab es weitere fruchtbare Ansätze und konzeptionelle Erwägungen zum Aufbau einer modernen Wissenschaftsakademie. Konzepte dazu lagen vor, nicht zuletzt die von Klinkmann und Klaus Pinkau, einem seiner Berater aus dem Vorstand der Westberliner Akademie.

Durchgesetzt hat sich dann, wie wir alle wissen, die Linie, die über den Staatsvertrag der Länder Berlin und Brandenburg zur Errichtung der BBAW führte und die die Gelehrtensozietät des Einigungsvertrages zwang, sich privatrechtlich als Leibniz-Sozietät zu formieren, um weiter existieren zu können.

Einen kritisch-polemischen Beitrag zur Akademienentwicklung in Berlin, aus interessanten Quellen gespeist, hat Peter TH. Walther angekündigt, er wird unter dem Titel stehen: Kleine Fehlerdiskussion, ein anregender Titel, wie ich finde, der Erinnerungen an den Gebrauch des Terminus in früheren Zeiten hervorruft.3

Was den Jubilar betrifft, so hat er in dieser Zeit eine herausragende Stellung eingenommen. Am 17. Mai 1990, vor fast genau 15 Jahren also, wurde er zum Präsidenten der Akademie gewählt, von allen 24.000 Mitarbeitern, ein einmaliger Vorgang in der Akademiegeschichte. Bereits im ersten Wahlgang erhielt er gegenüber seinen Mitbewerbern Heinz Bielka, Joachim Herrmann, Karlheinz Lohs und Manfred Peschel die erforderliche absolute Mehrheit der Stimmen. In das Amt als Präsident eingesetzt wurde er am 30. Juni durch den DDR-Ministerpräsidenten de Maiziere. Der neue Präsident traf auf eine Akademie in schwerstem Überlebenskampf, entscheidende Vorgänge waren bereits abgeschlossen, andere liefen unumkehrbar weiter. Der Korridor für eigenständige Entwicklungen und Entscheidungen war eng. Klinkmann hat als Präsident versucht, diesen Spielraum für die Akademie zu nutzen.

Die Ergebnisse sind bekannt, es gelang nicht, die Gelehrtensozietät des Einigungsvertrages in ihrer bisherigen Form zu erhalten. Horst Klinkmann empfindet es bis heute als tiefe Niederlage in seinem sonst so von Erfolgen bestimmten Leben, diese 300jährige Akademie nicht weiter geführt zu haben in eine andere Welt.

Auch in einem anderen Vorgang fühlte sich der Jubilar in diesen Jahren besonders getroffen. Die Ehrenkommission der Rostocker Universität empfahl damals dem Schweriner Kultusministerium, Klinkmann wegen „mangelnder persönlicher Eignung" zu kündigen, das bedeutete Lehr- und Forschungsverbot an der Universität und war seine faktische Ausweisung. Schwerin ist dieser Empfehlung damals gefolgt. Aber die Landesregierung hat sich inzwischen längst bei Klinkmann für diesen Vorgang entschuldigt, sowohl ihr Ministerpräsident als auch die Ressortminister für Bildung, für Wirtschaft und für Finanzen. Das Schweriner Kabinett steht heute hinter ihm und sucht seinen Rat. Und auch die Universität hat zu einer Entschuldigung angesetzt. In einem Gruß wort des Rektors Prof. Wendel, vor einigen Tagen auf einem Symposium in Rostock zu Ehren des Jubilars vorgetragen, heißt es über diesen Abschnitt: „Ihre (Klks) herausragende wissenschaftliche Prominenz und Systemnähe in der DDR war in den neunziger Jahren in der Phase nach der Wende ein Grund für eine Neuorientierung der Universität, die wohl beiden Seiten sehr schwer gefallen ist." Klinkmann, an den Rektor gewandt hat in der gleichen Veranstaltung geantwortet: „Magnifizenz, es war das schönste Geschenk, das mir die Universität zu meinem Jubiläum machen konnte: zu wissen, dass die Universität Rostock sich meiner nicht mehr schämt."

Klinkmann spricht von diesem Abschnitt noch heute als „Zeit, in der ich tief verwundet war". Ich denke, er hat nicht das Recht, das Geschehen dieser Jahre um die Gelehrtensozietät als seine persönliche Niederlage oder gar als Schuld anzusehen. Historisch gesehen war die Übernahme von wesentlichen Teilen der Akademie in fremde Hände absehbar und nicht abwendbar. Es ist ein großer Erfolg auch seiner Tätigkeit, daß die Gelehrtensozietät nicht unterging, sondern ihre Fortführung in Gestalt der Leibniz-Sozietät finden konnte. Der Jubilar sollte die Existenz und das Gedeihen der Leibniz-Sozietät als eine Form der Aufhebung seiner so schmerzlich empfundenen Niederlage ansehen.

Meine Damen und Herren!

Die Leibniz-Sozietät ist nicht die einzige Korporation von Wissenschaftlern, die versucht haben, dem liquidatorischen Sturm der frühen 90er Jahre standzuhalten. Nach der Auflösung und dem Zerfall der Wissenschaftslandschaft der DDR haben ausgesonderte, ausgegrenzte, nicht in neuen Strukturen untergekommene Wissenschaftler einige Organisationsformen wissenschaftlicher Arbeit und Kommunikation gefunden, die bei der Neuordnung (besser: beim Ausbau der Altordnung) weder in die bestehenden alten noch in die entstehenden neuen Strukturen passten. Die Szene, die sich hier in den 90er Jahren entfaltete ist durchaus vielfältig und bunt. Sie wird häufig als zweite Wissenschaftskultur bezeichnet. Von der offiziellen Wissenschaft, von Politik und Geldgebern wird sie kaum beachtet und gefördert. Wir sprechen hier aus eigenen Erfahrungen, die Leibniz-Sozietät ist Teil dieser Szene, vielleicht eines ihrer Kerngebiete.

Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung ist die Szene bisher kaum. Das Institut für Hochschulforschung Halle-Wittenberg, das vor zwei Jahren unter Peer Pasternack im Auftrag des Berliner Senats eine Studie dazu anfertigte, hat das Thema nicht weiter in Bearbeitung, es fehlen, wie man sagte, Auftraggeber (sprich Geldgeber) für eine weitere Beschäftigung damit. Wie sich die Szene entwickeln und ob sie in der Tendenz verstetigt werden kann und unter welchen Bedingungen sie erhalten und genutzt werden kann, ist offen, gleichfalls die Aussage, wie nützlich und unersetzbar sie eigentlich ist, was sie bisher geleistet hat und wie lange sie sich wird halten können. Einige dieser Gruppen haben wir vorgestellt in unserem Mitteilungsblatt Leibniz intern.4 Wir sind Hansgünter Meyer dankbar, daß er versuchen wird, erstmals das Terrain in groben Umrissen zu beschreiben und das vorhandene Material zu sichten.

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1 Veröffentlichungen vorzugsweise in der Reihe „Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät" und in der Reihe „Abhandlungen der Leibniz-Sozietät". Hier seien genannt: Sitzungsberichte:
Band 3 (1995) Heft 3: Akademiegedanke und Forschungsorganisation im 20. Jahrhundert. Wissenschaftliches Kolloquium der Leibniz-Sozietät zum Leibniz-Tag 1994
Band 15 (1996) Heft 7/8: Die Berliner Akademie 1945 bis 1950. Kolloquium der Leibniz-Sozietät September 1996. Band 29 (1999) Heft 2: Die Berliner Akademie von 1950 bis 1972. Kolloquium der Leibniz-Sozietät zur Berliner Akademiegeschichte
Band 38 (2000) Heft 3: Akademische Wissenschaft im säkularen Wandel. 300 Jahre Wissenschaft in Berlin. Kolloquium der Leibniz-Sozietät.
Band 45 (2001) Heft 2: Hubert Laitko, Theoria cum praxi - Anspruch und Wirklichkeit der Akademie; Bernhard vom Brocke, Adolf Harnack als Wissenschaftsorganisator und Wissenschaftspolitiker. Zwischen Preußischer Akademie und Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Auch ein Beitrag zur vergeblichen Reform der deutschen Akademien seit 1900; Friedhilde Krause, Adolf von Harnack als Generaldirektor der Königlichen Bibliothek bzw. der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin.
Neben den Materialien der Kolloquia enthalten die Sitzungsberichte zahlreiche Einzelbeiträge zur Akademiegeschichte Abhandlungen:
Band 2: Horst Klinkmann / Herbert Wöltge (Hrsg.) 1992 - Das verdrängte Jahr. Dokumente und Kommentare zur Geschichte der Gelehrtensozietät der AdW der DDR für das Jahr 1992, Berlin 1999

Band 6: Die Berliner Akademie nach 1945. Zeitzeugen berichten. Herausgegeben von Wolfdietrich Härtung und Werner Scheler, Berlin 2001

2 Der Beitrag wurde nachgereicht und ist in diesem Band abgedruckt auf den Seiten 99-113.

3 Der Beitrag wurde nachgereicht und ist in diesem Band abgedruckt auf den Seiten 115-133.

4 Bisher wurden vorgestellt: Die Gruppe der Achtundvierziger (leibniz intern Nr. 14), der Verein für Wissenschaftssoziologie und -Statistik WiSOS e.V. (Nr. 15), die Gesellschaft für Wissenschaftsforschung e.V. (Nr. 16), Initiative Sozialwissenschaftler Ost (ISO) (Nr. 16), Verein für angewandte Konfliktforschung (Nr. 17), die Internationale Wissenschaftliche Vereinigung Weltwirtschaft und Weltpolitik e.V. (IWVWW) (Nr. 18), die Interessengemeinschaft Medizin und Gesellschaft e.V. (Nr. 18), die Berliner Gesellschaft für Faschismus- und Weltkriegsforschung (Nr. 20), der Jour fix von Günter Kröber (Nr. 22), der Verein Berliner Debatte INITIAL e.V. (Nr. 27), der Berliner Verein zur Förderung der MEGA-Edi-tion e.V. (Nr. 29)