Lund, Hannah Lotte

"Die ganze Welt auf ihrem Sopha...". Frauen in europäischen Salons

[= Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft, Band 16], 198 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-89626-456-5, 26,80 EUR

 

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Inhaltsverzeichnis

Editorial 7

 

I. Vorwort 9

 

II. Das goldene Zeitalter der getrennten Sphären? – Die Frau im 18. Jahrhundert und was über sie geschrieben wurde 19

 

III. Der Salon als gesellschaftliche Institution – Das französische Modell 41

 

IV. Salon als Netzwerk – Der Bluestocking Circle 75

 

V. Mythos und Wahrheit von der Dachstube – Salons in deutschen Städten des 18. Jahrhunderts 105

 

VI. Zusammenfassung: Was bleibt? 173

 

VII. Nachbemerkung: Zu Quellen und Forschungsstand 183

 

Bibliographie 189

 

Abbildungsnachweis 197

 

Nota Bene 197

 

Über die Autorin 198

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zum Inhalt

 

1793 wurde in Paris eine Frau hingerichtet, die der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte die noch fehlende der Frauen hinzufügen wollte.

1793 wurde in Berlin für die Reform des Allgemeinen Preußischen Landrechts formuliert, dass eine Frau ohne Einwilligung des Mannes keinen Beruf ausüben und kein Geschäft tätigen darf.

1793 wurden in London "Vorlesungen über die Erziehung der Frau" zum Bestseller, in denen festgestellt wurde: Frauen, die ihr Leben dem Lernen widmen, verlieren ihren weiblichen Charakter.

In allen drei Städten, und in einigen anderen Europas, propagierten Frauen zur gleichen Zeit die menschliche und intellektuelle Gleichberechtigung von Frau und Mann. Sie taten das unter anderem, indem sie in ihren Häusern Vertreter der literarischen und politischen Öffentlichkeit, gleichsam die Intelligenz der Zeit, versammelten und so am intellektuellen und künstlerischen Diskurs der Zeit teilhatten. Sie führten literarische Salons.

Das Buch, das Sie in der Hand halten, beschäftigt sich mit einem gesellschaftlichen Experiment, das im 18. Jahrhundert mit Erfolg unternommen wurde und die damals geltenden Grenzen zwischen Frau und Mann, Adel und Bürgertum, Autor und Publikum infrage stellte: Im Salon trafen sich Aufklärer und Äbte, Juden und Christen, Mitglieder des Adels und Bürgerliche. Dieses Experiment fand über die Zeit zahlreiche Nachahmer und Nachahmerinnen, zuletzt in Berlin im Jahre 2003. In der selbsternannten Metropole der Kultur und Subkultur Deutschlands werden die Salons und die Salonièren wieder entdeckt. Genauer gesagt werden verschiedenste Geselligkeitsformen – Diskussionsrunden in Gaststätten ebenso wie halböffentliche Lesungen gegen Eintritt und politische Talkshows – unter dem Begriff "Salon" veranstaltet. Sie spezifizieren sich über ein Attribut: Bekannt geworden sind u.a. der Rote und der Grüne Salon in der Berliner Volksbühne. Daneben gibt es literarische, politische, musikalische und kulinarische Salons.

Viele dieser Einrichtungen und ‘events’ berufen sich auf die berühmten Frauen des 18. Jahrhunderts, so dass eine Buchreportage im Untertitel von der "Renaissance der Berliner Salons" sprechen konnte. Ist es aber eine?

Auch im globalsten Medium, dem Internet, entstehen so genannte Salons. Es ist vielleicht kein Zufall, dass die erste Netzzeitung sich diesen Namen gab (www.salon.com). Die Frage, ob die virtuellen Salons mit den literarischen des 18. Jahrhunderts Gemeinsamkeiten haben und welche das sein könnten, ist noch offen. 200 Jahre nach dem Ende der eigentlichen Berliner Salons, angesichts der proklamierten Gleichberechtigung von Frau und Mann und dem tatsächlichen Zugang von Frauen zu Bildung und Beruf, vor allem aber angesichts der völlig veränderten – globalen – Öffentlichkeitsstruktur fragt man sich, welche Traditionen hier heraufbeschworen werden sollen und können.

Berlin 1793 – die Frauen, auf die sich das Gros der neuen Salonièren in Deutschland beruft, hätten sich über diese Vereinnahmung sehr gewundert. Die berühmteste unter ihnen, Rahel Levin Varnhagen, hätte die Entwicklung mit Interesse verfolgt, sich aber vermutlich gegen Festlegungen und Rezepte gewehrt: "es gibt nur Lokalwahrheiten, und die Zeit ist nichts als die Bedingung unter welcher sie sich bewegen." Die roten und grünen Salons hätte sie unter "Tanzböden" subsumiert und vielleicht räsoniert:

"Geschichte ist in närrischen Händen sehr schädlich und ein Grundirrtum über sie im Umlauf; man hört überall den höchsten fast bis zu den niedrigsten Ständen empfehlen, sie möchten die Geschichte fragen und sie studieren. Wer ist denn vermögend, Geschichte zu schreiben oder zu lesen? Doch nur solche, die sie als Gegenwart verstehen. Nur diese vermögen das Vergangene zu beleben und es sich gleichsam in gegenwärtiges zu übersetzen..."

In diesem Sinne stellt das Buch die ursprünglichen Salons des 18. Jahrhunderts vor und fragt gleichzeitig danach, was davon uns heute noch eignet.

Die Besonderheit der Salons wird deutlich, wenn man sich den zeitgenössischen gesellschaftlichen Hintergrund ansieht, vor dem sie entstanden. Das Jahr 1793 steht hier symbolisch für den Ausgang des 18. Jahrhundert. Die so genannte "Sattelzeit" von etwa 1750 bis etwa 1820 war geprägt von den gesellschaftlichen Umwälzungen der politischen und der industriellen Revolution. Von den meisten öffentlichen Institutionen und Diskursen waren Frauen als Teilnehmerinnen ausgeschlossen, als Thema war die Frau dennoch omnipräsent. Die europaweite Debatte zur Rolle und Bestimmung der Frau, die "Querelle des Femmes", die innerhalb der Gelehrtenrepublik der Neuzeit kontinuierlich geführt wurde, erreichte zum Ende des 18. Jahrhunderts einen neuen Höhepunkt. Kein Jahr verging ohne eine frauenspezifische Publikation, die meisten davon frauenfeindlich, keines aber auch ohne Engagement für eine verbesserte Frauenbildung, von Männern und Frauen aller europäischen Länder. Die Debatte um die Rolle und Position der Frau war durch den Ausbruch der Revolution und die Angst vor dem Umsturz aller bestehenden Verhältnisse verschärft worden, in ihrem Kern aber im ganzen Jahrhundert präsent gewesen. Die Salons waren Zeitgenossen, waren Teil dieser Debatte. Sie propagierten inhaltlich und der Form nach die intellektuelle Gleichberechtigung von Frau und Mann, während gleichzeitig das bürgerliche Frauenbild, der neuzeitliche Nationalismus (und Antisemitismus) entstanden.

Einige der damals aufgestellten Emanzipationsforderungen sind heute eingelöst. Wie noch zu zeigen sein wird, haben hingegen andere damals aufgestellte Theorien über die Verhältnisse der Menschen und der Geschlechter zueinander noch Gültigkeit, bzw. sie werden heute immer noch vertreten.

Es ist also an der Zeit, ein alternatives Kommunikationsmodell auszugraben, bzw. sich auf die Suche nach der weitgehend unterschlagenen anderen Hälfte der Wahrheit zu machen, die ein Bestandteil der Suche nach der verlorenen Zukunft ist.

 

Dieses Buch fragt danach, welchen Frauen es gelang, mittels eines Salons Anschluss an die Öffentlichkeit zu finden, an welchem Punkt in ihrem Leben sie einen Salon eröffneten oder schlossen. Die wesentliche Frage aber ist: Welche Möglichkeiten bot der literarische Salon den Frauen, die ihn führten? Abseits von jeder pauschalen Glorifizierung eines verlorenen Paradieses sollen hier die Frauen selbst befragt werden, was ihre Motive und ihr Gewinn gewesen sind, so dass am Ende ihre eigentliche Leistung sichtbar wird, die tatsächlich erheblich ist. Angesichts der Situation der Frauen im 18. Jahrhundert geht es um die Bildungsmöglichkeiten, die sich ihnen im Umgang mit den Gästen erschlossen, die erweiterten sozialen Kontakte, die Möglichkeiten gesellschaftlicher oder politischer Einflussnahme, die dort entstanden. Es geht auch um den verbesserten Umgang zwischen den Geschlechtern wie zwischen Bevölkerungsgruppen und damit um die emanzipatorischen Tendenzen des Salons.

 

Die Salons sind ein europäisches Phänomen. In dem vorliegenden Buch wird erstmals in internationalem Zusammenhang nach dem Modell des Salons gefragt und danach, welche Möglichkeiten er Frauen (und Männern) im 18. Jahrhundert bot.

Um diesem Phänomen auf die Spur zu kommen, werde ich mehrere Salons in verschiedenen Ländern untersuchen. Dabei möchte ich meine Leserinnen und Leser mit den Gastgeberinnen und deren Gästen, den Salonièren und ihren Habitués, ihren Stammgästen, bekannt machen. Schwerpunkt sind die Berliner Salons; vor Berlin geht es aber, in der Reihenfolge ihrer Entstehung in die Salons von Paris und London. (Kap. III–V)

Diesen gedanklichen, leider posthumen, Salonbesuchen schicke ich einen kurzen Überblick über die Situation der Frauen im 18. Jahrhundert (und in der Geschichtsschreibung über diese Zeit) voraus. (Kap. II). Obwohl die Entwicklung in verschiedenen Ländern, und sogar Regionen unterschiedlich einsetzt, gibt es Tendenzen, die für das 18. Jahrhundert typisch und für Frauenleben prägend waren.

 

Die Gefahren einer solchen Verknappung liegen auf der Hand. Ich möchte damit nicht die Nachfolge der typischen Ratgeberliteratur des 18. Jahrhunderts antreten und von "der" Frau sprechen. Vielmehr möchte ich herausstellen, welche geschlechts- und schichtenspezifische oder andere Einschränkungen das Leben der Frauen und Männer bestimmten. Um aber einen Eindruck von der Motivation und der Leistung der Salonfrauen zu bekommen, muss man sich – bei aller gebotenen Vorsicht vor Verallgemeinerungen – vor Augen führen, welches Leben Mrs Average und Fräulein Durchschnitt im 18. Jahrhundert zu erwarten hatten.

Salons sind ein typisches Beispiel dafür, wie weibliches Engagement von (überwiegend männlichen) Historikern abgewertet oder vereinnahmt und so zum Teil ein weiteres Mal aus der Geschichte ausgeschlossen wurde. Das 18. Jahrhundert wird gewöhnlich als der Beginn der Trennung der öffentlichen und der privaten Sphäre betrachtet, bei der die Männer (als "male breadwinners") in der einflussreicheren öffentlichen Sphäre zu Hause sind, während sich das schwache Geschlecht im Privaten einrichten muss. Am Beispiel der Salons soll hier gezeigt werden, dass diese Grenze zwischen Öffentlichkeit und Privatheit durchlässiger war als oft angenommen.

Fachleser werden einige der Ausführungen bereits kennen. Ich schreibe hier überwiegend für ein interessiertes, nicht notwendigerweise spezialisiertes Publikum – aus dem sich nach Friedrich Schleiermacher übrigens die idealen Salongäste rekrutieren.

Das Einführungskapitel kann daher von den Expertinnen und Experten übersprungen werden, um direkt zu den Salons zu gelangen. In jedem Falle heißt es: Treten Sie näher, Sie werden erwartet.